Kapitel Acht


Khiray erwachte mit brummendem Sch�del. Nur allm�hlich kehrte sein Bewu�tsein zur�ck. Er hatte das unangenehme Gef�hl, da� etwas Wichtiges geschehen war, aber er konnte sich nicht erinnern...

...ein Kampf...

...mu�te sich erinnern...

Saljin! Wie aus einem b�sen Traum fuhr er hoch. Saljin war verletzt -- die B�ren hatten die Fuchstauren angegriffen --

Er versuchte die Augen zu �ffnen. Grelles Licht blendete ihn. Er lag auf etwas Weichem. Was war passiert? Wo war er? Etwas hatte seinen Kopf getroffen.

Das Licht d�mpfte sich auf ein normales Ma�. Es war nur eine Lampe, nichts weiter. Er befand sich auf der 'Silbernen Ansicc' in einer Kabine -- einer Passagierkabine, nicht seiner eigenen. Seine eigene Kaj�te h�tte den Felligen auch keinen Platz geboten, die ihn umstanden. Delley, Pallys, Doktor Pargenn, zwei Mitglieder der Crew.

"Er wacht auf", stellte der alte Dachs fest.

"Was...?" kr�chzte Khiray.

"Etwas hat dich getroffen", bemerkte Pallys und warf Delley einen verr�terischen Seitenblick zu.

"Du!" �chzte der junge Fuchs. "Du hast mich niedergeschlagen!"

Delley wand sich. "Du wolltest nicht mitkommen. Ich konnte dich in so einer gef�hrlichen Situation unm�glich zur�cklassen. Sie h�tten dich wom�glich umgebracht!"

"Du hast mich niedergeschlagen!" wiederholte Khiray ungl�ubig.

"Du hast mir keine andere Wahl gelassen! Die B�ren w�ren sicher auf dich losgegangen. Sie haben..." Er brach ab.

"Was? Was haben sie?"

Pargenn sch�ttelte den Kopf. "Nichts, was dich interessieren sollte. Das war ein ziemlicher Hieb. Ich wei� noch nicht, ob du eine Gehirnersch�tterung davongetragen hast. W�re m�glich. Bleib liegen und ruh' dich erst einmal aus."

Khiray hob die H�nde. "Ich kann nicht... Ich mu� zum Versammlungsplatz! Ich mu� nach Saljin sehen!"

"Es ist zu sp�t!" entfuhr es Delley. "Du kannst nichts mehr tun..."

"Was soll das hei�en?" Das Blut in seinen Adern wurde zu Eis. Zu sp�t?

Pargenn r�usperte sich. "Du warst drei Tage lang bewu�tlos. Manche Ratten k�nnen ihre eigene Kraft anscheinend nicht einsch�tzen." Er warf einen mi�billigenden Blick auf Delley.

Die Ratte sch�ttelte den Kopf. "Besser eine Beule als tot. Khirays Vater hat ihn mir anvertraut, gewisserma�en. Jetzt, wo Saswin tot ist, mu� ich nach dem Kleinen sehen."

Khiray h�rte ihm kaum zu. Drei Tage? Drei Tage waren vergangen? Dann war der Kampf l�ngst vor�ber. Hoffentlich... Er versuchte aufzustehen, aber Pargenn dr�ckte ihn wieder zur�ck in die Kissen. "Nein, mein junger Freund, du bleibst hier... oder m�ssen wir dich ans Bett binden?"

"Was ist mit den Fuchstauren?" wollte Khiray wissen.

"Nun...", setzte Delley an, wurde aber durch einen strafenden Blick von Pargenn zum Schweigen gebracht. "Keine Aufregung f�r den Patienten."

Khiray schlug die Hand des alten Dachses beiseite. "Ich mu� es wissen!" Er schwang die Beine �ber die Kante des Bettes. Eine kleine Beule w�rde ihn nicht aufhalten! Aber ihm war schwindelig, und seine Muskeln f�hlten sich an wie Pudding.

Niemand versuchte ihn zu stoppen. Delley sah schuldbewu�t drein. Pallys verschr�nkte die Arme. Pargenn runzelte die Schnauze. Die beiden Crewmitglieder zuckten die Achseln -- Khiray war der Kapit�n!

Saljin...

Er durchquerte das Schiff fast ohne Probleme. Das Schwindelgef�hl lie� ihn ein- oder zweimal gegen die W�nde taumeln, doch nachdem er einen Holzkn�ppel aus dem Lager genommen hatte und als St�tze benutzte, konnte er sich recht schnell bewegen. Er hatte keine Kleidung an, nicht einmal den Lendenschurz, und war v�llig unbewaffnet, aber in diesem Moment war es ihm herzlich egal, ob er wie ein mittelloser Wanderarbeiter wirkte.

Der Weg zum Versammlungsplatz hinauf war m�hsam. Die Kr�fte drohten ihn zu verlassen, ehe er die halbe Strecke hinter sich gebracht hatte. Er sah Fellige vorbeigehen, aber sie wichen ihm aus und weigerten sich, seinen Blick zu erwidern. Bunte Flammen tanzten vor seinen Augen.

Er wu�te nicht, was er zu finden erhoffte. Wenn die Fuchstauren gesiegt hatten, w�ren sie l�ngst verschwunden. Galbren w�rde die Leichen und die Verwundeten l�ngst fortgeschafft haben. Wenn umgekehrt die B�ren Sieger geblieben waren --

Er ahnte, was er sehen w�rde, ehe er den Versammlungsplatz erreicht hatte. Sein Verstand weigerte sich zu begreifen, aber sein Gef�hl verriet alles.

Der aufgespie�te B�r war nicht gestorben. Er hatte weitergek�mpft. Khiray konnte sich nicht erinnern, ob die Wunde �berhaupt geblutet hatte. Das waren keine normalen B�ren gewesen, so wenig wie Galbrens Berater ein normaler Men'schin war. S�ldner-B�ren... wer h�tte je davon geh�rt?

Keine Chance f�r die Fuchstauren. Vielleicht waren die B�ren im Inneren auch eine sich windende Masse aus W�rmern. Vielleicht h�tte man die Maden unter dem Fell sehen k�nnen. Vielleicht waren sie auch etwas g�nzlich anderes. Es spielte keine Rolle...

...nichts spielte mehr eine Rolle, au�er Saljin.

Die Fuchstauren waren noch da, auf dem Versammlungsplatz. Die B�ren waren Sieger geblieben. Die geschundenen, zerbrochenen K�rper der Fuchstauren hingen vom Galgen, aber es war offensichtlich, da� sie tot gewesen waren, ehe man sie h�ngte. Galbren hatte offenbar ihre R�stungen an sich genommen, jedenfalls trugen sie keine Kleidung mehr.

Fassungslos starrte Khiray auf die Toten. Die B�ren hatten die Fuchstauren mit unvorstellbarer Gewalt getroffen. Ihre Arme und Beine schienen seltsam verdreht, ihr R�ckgrat mehrfach gebrochen, und obgleich die Fuchstauren nur wenige �u�erliche Wunden aufwiesen -- Schnitte und Kratzer aus dem Kampf gegen die Garden --, wurde offenbar, da� die B�ren selbst ihre toten Widersacher noch mit m�rderischen Pranken bearbeitet hatten.

Die Fuchstauren hatten einen Kampf geliefert, der ihrer w�rdig war. Aber die B�ren hatten ihre �berlegenheit weidlich genutzt. Sie hatten es niemals n�tig gehabt, zu den Waffen zu greifen.

Das Bild sank langsam in Khirays Bewu�tsein und traf seinen Magen wie ein Keulenschlag. Er begann zu w�rgen. Alles war vor�ber. Ihrer W�rde beraubt, bewegten sich die Leichen der Fuchstauren langsam im Wind.

Tod, Tod, �berall Tod. Wenn die Fuchstauren doch niemals in die Stadt gekommen w�ren... Tr�nen liefen �ber seine Wangen. Ein paar Passanten gingen kopfsch�ttelnd vorbei. Gerechtigkeit. Wo war die Gerechtigkeit jetzt? Hatte Pallys am Ende doch recht behalten?

Er konnte nicht mehr denken, kaum noch atmen. Sein Vater war tot. Die Fuchstauren waren tot. Was sollte er noch tun? Wohin sollte er gehen? Der Gedanke, sein Leben einfach weiterzuf�hren, kam ihm ungeheuerlich vor. Nach allem, was er gesehen hatte...

Aber er war kein Welpe mehr. Er fa�te den Schmerz in seinem Inneren zusammen und wappnete sich dagegen. Er �ffnete und schlo� die Augen und blickte endlich wieder zu den Leichen der Fuchstauren auf. Dies w�rde ihn nicht umbringen. Er w�rde nicht aufgeben. Das R�tsel war noch nicht gel�st.

Nur langsam wurde Khiray klar, da� etwas nicht stimmte.

Er wischte sich die Augen und begann zu z�hlen. Vier. Es waren nur vier Fuchstauren.

Die Leichen schienen weit entfernt von den Pers�nlichkeiten, die sie einst beherbergt hatten, und waren kaum wiederzuerkennen. Mit einer Mischung aus Furcht und Hoffnung fing Khiray an, sie zu identifizieren.

Mikhoi. Aryfaa. Dokmaris. Halann.

Saljin und Dek fehlten.

Wilde, neu erwachte Freude erfa�te sein Herz. Sie lebten! Sie waren nicht hier am Galgen ausgestellt wie die anderen. Sie waren entkommen.

Nein. Vielleicht war dem nicht so... Vielleicht waren sie gefangen, sa�en in den Kerkern Sookandils. Vielleicht waren sie tot, und Galbren hatte irgendeinen Grund, sie nicht �ffentlich auszustellen. Es war zu fr�h, sich dieser Hoffnung hinzugeben. Und wenn sie als Gefangene lebten, wie sollte er sie retten? Er war nur ein einzelner Fuchs, ein H�ndler, weder K�mpfer noch Anf�hrer. Er konnte sich nicht gegen Galbren und alle seine Garden stellen, gegen das Wurm-Wesen und die mysteri�sen B�ren.

Aber wenn... wenn Saljin Gefangene Galbrens war, mu�te er es versuchen.

Schritte lie�en ihn aufmerken. Er blickte sich um und sah in Farlins Gesicht. Sein Onkel hatte einen verbundenen Arm, trug aber noch immer die Uniform der Elitetruppen, Kleidung in Scharlachrot, und ein Schwert baumelte von seiner H�fte.

"Es tut mir leid", sagte Farlin. "Du h�ttest dich niemals mit ihnen einlassen sollen. Galbren hatte recht, Fremde sind gef�hrlich. Aber ich h�tte vorher nie gedacht, wie gef�hrlich."

"Er hat euch benutzt", stellte Khiray fest. "Ich habe es gesehen. Er hat diese Elitetruppen gegen die Fuchstauren geschickt, um sie aufzuhalten, w�hrend seine richtigen Soldaten sie umkreist und von hinten angegriffen haben. Er hat euch alle geopfert, all deine Leute."

Farlin sch�ttelte den Kopf. "Es steht mir nicht zu, seine Befehle zu hinterfragen. Das ist Taktik und Strategie, und ich verstehe noch nicht genug davon."

"Merkst du nicht, was hier vor sich geht?" Zornig wies Khiray auf die Fuchstauren. "Er spielt sein eigenes Spiel. Galbren will Macht, mehr Macht. Er will nicht nur diese Stadt. Er will den ganzen Armygan."

Den Verdacht auszusprechen kl�rte seine Gedanken. Ja, genau das war Galbrens Plan. Er hatte selbst gesagt, da� er den Drunf�rsten f�r unf�hig hielt. Jemand sollte ihn ersetzen, die Macht �bernehmen. Galbren selbst, nat�rlich.

Der Armygan. Das ganze Land.

Man konnte Galbren nicht vorwerfen, sich mit Kleinigkeiten abzugeben.

Aber wie pa�ten die Fuchstauren in das Bild, das Wurm-Wesen, der Mord an Khirays Vater? Der Fuchs hatte das Gef�hl, da� nur noch ein winziger Teil an dem Puzzle fehlte. Alles war verbunden. Galbren tat nichts ohne Sinn.

Aber wer sollte sich ihm in den Weg stellen? Khiray blinzelte. Es gab noch anderes zu tun...

"Onkel Farlin, was ist mit Saljin und Dek geschehen?"

Farlin blickte zum Galgen auf. "Der Angeklagte und die Fuchstaurin, mit der du gekommen bist?"

"Ja", grollte Khiray ungeduldig.

"Sie haben sie fortgeschafft."

"Wohin?"

"Ich wei� nicht. H�r zu, Khiray, du mu�t hier verschwinden. Du bist in der Stadt nicht mehr besonders beliebt. Einige halten dich f�r einen Verr�ter."

"Geh�rst du auch dazu?" murmelte Khiray bitter.

"Nein -- nein, nat�rlich nicht. Aber du hast falsch gehandelt, das mu�t du einsehen. Dein Vater h�tte das alles nicht gewollt. Du h�ttest dich nie mit diesen Fremden einlassen sollen. Aber es ist noch nicht zu sp�t. Geh fort. Nimm das Schiff und fang' unten in Drun'kaal noch einmal von vorne an. Das Gold sollte dir helfen, bis du ein gutgehendes Gesch�ft hast. Niemand kennt dich dort, niemand wird die Fuchstauren auch nur erw�hnen. Du wolltest doch immer nach Drun'kaal zur�ckkehren, oder nicht?"

Der Gedanke w�re fast verlockend gewesen -- in einer anderen Zeit, in einem anderen Leben.

"Wo sind Dek und Saljin?" verlangte Khiray zu wissen.

Farlin seufzte. "Ich wei� es wirklich nicht. Sie sind nicht in den Kerkern, ich war gestern dort. Die anderen Wachen haben auch keine Ahnung. Glaube mir, ich habe mich das selbst schon gefragt."

"Was sagt Galbren?"

"Ich habe nicht mehr mit ihm gesprochen. Ich werde �bermorgen ins Trainingscamp aufbrechen. Bitte, nimm meinen Rat an! Wenn du so weitermachst, wirst du sterben, und deine Familienlinie mit dir."

Khiray zuckte die Achseln. Es war nicht mehr wichtig. Langsam verlie� er den Versammlungsplatz und wankte die Stra�e zum Kai hinab. Farlin folgte ihm nicht.

* * *

"Ich wei� nicht, wo sie sein k�nnten", klagte Delley. "Glaubst du, ich habe die Nase aus dem Bullauge gestreckt? Ich habe die ganze Zeit an deinem Bett gesessen und �ber dich gewacht."

Khiray verschr�nkte die Arme. Er hatte die Kaj�te des Kapit�ns gew�hlt, um mit Delley und Pallys unter sechs Augen zu sprechen. Schlie�lich war er jetzt der Kapit�n. "Kein Wunder, schlie�lich hast du mich niedergeschlagen. Du hattest ein schlechtes Gewissen."

"F�ngst du schon wieder an?"

Khiray krauste die Schnauze. "Tu es jetzt. Geh zu den Wachen. Frage sie. Jemand mu� sie gesehen haben. Tot oder lebendig, sie k�nnen nicht spurlos vom Erdboden verschwunden sein."

"Warum gehe ich nicht gleich zu Galbren?" murrte Delley. Die Ratte l�mmelte sich tiefer in den Stuhl, als wollte er darin Schutz suchen.

"Ich habe es erwogen", erkl�rte Khiray, "aber irgendwie habe ich das Gef�hl, da� Galbren nicht geneigt sein wird, mir eine Auskunft zu geben."

"Du l��t nicht locker, oder?" fragte Pallys. Das Kaninchen war in sich zusammengesunken und sah nun fast so alt aus, wie es wahrscheinlich war. Khiray fragte sich f�r einen Moment, ob Pallys in der Tat mehr als siebzig Jahre alt war -- was er sein mu�te, wenn er Galbrens Vater unterrichtet hatte. Der Lehrer sah nicht �lter aus als f�nfzig, normalerweise... doch gerade jetzt schienen ihn die Jahre und die Sorgen einzuholen.

"Nein", erkl�rte Khiray entschieden. "Ich werde nicht davonlaufen. Ich werde mich nicht abwenden, die Schultern zucken und gen S�den ziehen. Ich werde nicht die Augen schlie�en und Galbren tun lassen, was er will."

Pallys lachte heiser. "Das sind sehr mutige und heroische Worte. Gemessen daran, nat�rlich, da� der, der sie spricht, noch nie verblutend auf einer Stra�e gelegen hat, noch nie in den feuchten Kellern eines Kerkers auf die n�chste schleimige Mahlzeit gewartet hat, noch nie vor dem Galgen stand und dem Henker in die Augen blickte. Einmal ist immer das erste Mal, junger Fuchs, und manchmal ist das erste Mal auch das letzte Mal."

"Ich gebe nicht auf", sagte Khiray ruhig. "Ich will Antworten."

"Du hast mir nicht zugeh�rt", seufzte Pallys. Er nahm ein Fernglas in die Hand und drehte es nachdenklich. "Als ich noch jung war, nun ja, sozusagen -- da habe ich viele L�nder bereist. Men'schin-L�nder jenseits des Imperiums Dharwil, Reiche von Nicht-Men'schin jenseits von diesen. Ich habe die Welt gesehen, und die Welt ist gro�."

"Du hast nie davon sprechen wollen", unterbrach Khiray ihn.

"Man darf wohl noch seine kleinen Geheimnisse haben, oder?" fragte Pallys ironisch. "Ich bin jahrelang gewandert. Manche Orte waren schlecht, voller Verderbnis, Angst und Gewalt. Manche Orte litten unter den Nachwehen ewiger Kriege. Manche duckten sich unter der Knute eines Tyrannen. Andere Orte waren wundersch�n, reich und voller gl�cklicher Wesen, ob mit Fell oder ohne. Hier herrschte Toleranz und Freiheit, dort Ungl�ck und Unterdr�ckung. Aber eines war allen diesen Orten gemeinsam. Sie waren nicht ewig. Tyrannei endet, wie auch Gl�ck endet. Das ist der Lauf der Zeiten. Was heute f�r uns grausam und untragbar erscheint, ist eines Tages vorbei und nur noch eine Fu�note in B�chern. Wenn wir erhoffen, da� das Goldene Zeitalter ewig dauern m�chte, geben wir uns einer Illusion hin, denn die Sch�nheit vergeht und stirbt ebenso wie das H��liche. Ewig ist eine lange Zeit."

"Und deshalb sollen wir herumsitzen und nichts tun?" brauste Khiray auf. "Vielleicht k�nnen wir nichts tun. Vielleicht ist Galbren schon zu m�chtig. Aber wir k�nnen es versuchen!"

Pallys stellte das Fernglas wieder hin. "Ich hatte nicht erwartet, da� du es verstehen w�rdest. Wenn man lange lebt, so wie ich, sieht man St�dte fallen und Reiche vergehen. Alles ver�ndert sich, alles ist im Flu�."

"Komm, gib nicht so an!" murmelte Delley. "Man k�nnte glauben, da� du unter den Gr�nderv�tern des Armygan selbst warst."

Pallys lie� sich nicht st�ren. "Man hat zwei M�glichkeiten: mit dem Flu� zu treiben und die Dinge geschehen zu lassen. Oder sich gegen die Flut zu stemmen und am Ende unterzugehen. Ich bin kein Held, der k�mpfend sterben m�chte. Ich bin nur ein Kaninchen, das ein friedliches Leben f�hren will."

"Geschichte geschieht nicht einfach", betonte Khiray. "Geschichte wird gemacht. Wir Felligen, Men'schin, Fuchstauren, Trolle oder was auch immer -- wir denkenden, f�hlenden Wesen -- machen einen Unterschied. Wir bestimmen den Strom, von dem du sprichst. Wir formen und ver�ndern ihn. Niemand treibt einfach so dahin. Und selbst wenn wir am Ende untergehen, wenn das, was wir bewirken, nur winzig klein und kaum sichtbar ist im Gef�ge der Dinge, so haben wir doch nicht vergebens gelebt."

"Die M�chtigen machen die Geschichte. Die Kleinen passen sich an oder gehen unter. Khiray, du hast zu viele Heldensagen gelesen."

Der Fuchs funkelte das Kaninchen an. "Vielleicht. Aber ich wei�: wer niemals den Versuch macht, seine Tr�ume und Vorstellungen zu verwirklichen, wird auch niemals in der Welt seiner Tr�ume leben. Wer sich hingegen darum bem�ht, kann vielleicht ein St�ck seines Traums erringen."

"H�bsch gesagt", murmelte Delley.

Khirays Ohren err�teten. "Das stammt aus einem Buch, das ich mal gelesen habe."

Pallys l�chelte. "Noch irgendwelche B�cherweisheiten?"

"Wie w�re es damit: 'Ist es besser, ewig zu leben um des Preises ewiger Bedeutungslosigkeit, ewig dahinzutreiben im Strome der Zeiten als graue Maus, ohne Hoffnung auf Gl�ck? Oder sollte man den Preis des Todes zahlen und sein Leben in die Waagschale werfen, um zu erringen, an was man glaubt? Ist es besser, sich zu unterwerfen unter das Diktat der Geschichte und der Gewaltigen, um das grause Gesicht des Lebensnehmers nie zu sehen? Oder sollte man erstreben, selbst zum Titanen zu werden wider alle Hemmnis, trotz der Gefahr, am Ende zu scheitern?'"

"'Wir w�gen den Wert unseres Lebens ab gegen die Ideale, die wir hegen'", erg�nzte Pallys, "'gegen das Schicksal derer, denen unsere Liebe gilt, gegen den Zeitstrom selbst. Wir treffen eine Wahl, und wenn der Tod an uns vor�bergeht, m�ssen wir damit leben. Wir k�nnen ein Staubkorn in der Ewigkeit sein oder eine gl�hende Flamme...' Ich habe dieses Buch auch gelesen."

"Es ist sehr alt", erkl�rte Khiray Delley, dem die unausgesprochene Frage ins Gesicht geschrieben stand. "Es handelt von einem Hort der Unsterblichen, der sich irgendwo auf der Welt befinden soll, und von zwei Br�dern, Leoparden aus einer adligen Familie. Der eine widmet sein Leben der Suche nach diesem Hort, um selbst unsterblich zu werden, der andere baut in der Zeit seines Lebens ein bl�hendes Reich auf. Nachdem der zweite Bruder gestorben ist, lebt der erste Hunderte von Jahren lang in einem Paradies und fragt sich, ob seine Unsterblichkeit den Preis wert war... doch am Ende zerf�llt das Reich und wird zerst�rt..."

"Genug!" Pallys war aufgesprungen. Seine Ohren zitterten vor Erregung. Seine Nase zuckte, wie Khiray es nie vorher bei ihm gesehen hatte. "Diese alten Geschichten f�hren nirgendwohin!"

"Es ist eine sehr gute Geschichte", beharrte Khiray. "Sie handelt von Entscheidungen."

"Das wei� ich. Aber was wei�t du? Du hast dem Tod nie ins Gesicht gesehen. F�r dich ist er weit fort..."

Khiray starrte ihn nur an. Verga� Pallys, da� er seine Familie verloren hatte? Seine Mutter, und nun auch seinen Vater? Da� die Fuchstauren eines schrecklichen Todes gestorben waren?

Schlie�lich senkte Pallys den Blick. "Entschuldige. Ich wollte nicht... Es ist sehr lange her, seit ich dieses Buch gelesen habe. Ich erinnere mich... erinnere mich in letzter Zeit an zu viele Dinge. Entscheidungen, ja. Vielleicht habe ich einmal eine falsche Entscheidung getroffen. Wie es so sch�n hei�t, wir m�ssen damit leben."

"Schon gut", murmelte Khiray sanft. "Ich wei� gar nicht, ob ich es �berhaupt wissen will. Wirst du uns helfen? Das ist die einzige Frage, die mich interessiert."

"Und mich gegen Galbren und seine Garden stellen?" Pallys sch�ttelte den Kopf. "Ich habe so lange mit meinen �berzeugungen gelebt. Soll ich sie nun einfach vergessen?"

Delley grunzte. "Verdammt, Kaninchen! Du sollst nicht an einer Revolution teilnehmen. Wir wollen blo� Saljin und Dek finden."

Khiray sah dankbar zu der Ratte hin�ber. Delley hatte ein wagemutiges Grinsen aufgesetzt. "Und diese ganze seltsame Sache aufdecken", erg�nzte er. "Immerhin, ich kann mir Galbrens Pl�ne schon vorstellen. Aber ich wei� noch nicht, wie Alfon Sanass da hineinpa�t..." Pl�tzlich wurde ihm klar, da� er seinen Freunden niemals von dem Wurm-Wesen erz�hlt hatte, das nun den Men'schin verk�rperte. Er begann, die Geschichte der Mordnacht erneut aufzurollen, und verga� auch nicht zu erw�hnen, da� Alfon Sanass sich ihm nach der Verhandlung nochmals offenbart hatte.

Als er geendet hatte, zitterte Pallys am ganzen K�rper. Seine Ohren waren flach angelegt, und seine Pfoten zuckten so nerv�s, als wolle er jeden Moment vor einer unsichtbaren Gefahr fl�chten. Das Kaninchen schien unter dem Fell totenbleich geworden zu sein, und seine Schnauze hatte sich in einen verkniffenen Schlitz verwandelt. "Khiray, oh Khiray!"

"Was?" fragte der Fuchs beunruhigt.

"Du hast dir m�chtige Feinde gemacht. M�chtiger, als du ahnen konntest. Der wahre Name des Wurm-Wesens, wie du es nennst, ist nicht Alfon Sanass, sondern Azzhuzzim Beladanar, Herr der W�rmer. Er ist ein Ushink -- ein D�mon aus dem zweiten Kreis der H�lle."

* * *

D�monen? Khiray hatte nie wirklich an solche Wesen geglaubt. Aber andererseits hatte er auch nie zuvor einen Men'schin getroffen, der aus W�rmern zusammengesetzt war. Magie war am Werk, m�chtigere Magie, als er je zuvor erlebt hatte. Und von einer g�nzlich anderen Art.

Aber es erkl�rte vieles. Zum Beispiel, wie Galbren hoffen konnte, den Drunf�rsten mit ein paar unerfahrenen Garden zu st�rzen. Der Gouverneur brauchte seine Wachen nicht -- er war im Bunde mit magischen M�chten, die die Kraft der Magier von Drun'kaal weit �berstiegen. Selbst wenn die Legenden von D�monen, die Khiray kannte, deren Magie weit �bertrieben, waren sie immer noch gef�hrlich genug. Das Puzzle... das R�tsel...

Und pl�tzlich fiel jedes Steinchen an seinen Platz.

Khiray �chzte. Galbrens Pl�ne waren viel weiter fortgeschritten, als er erwartet hatte. "Ich verstehe..."

"Ich nicht", brummte Delley. "D�monen? Ist Galbren ein Magier, oder was?"

"Man braucht kein Magier zu sein, um in Kontakt mit D�monen zu kommen", erkl�rte Pallys. "D�monen suchen sich oft ihre Mittelsm�nner selbst aus. Azzhuzzim Beladanar hat wahrscheinlich nur auf jemanden wie Galbren gewartet."

"Galbren wollte Macht... schon immer." Khiray nickte. "Wer wei�, wen er in seiner Zeit in Drun'kaal kennengelernt hat; vielleicht ist er in der Magie gar nicht so unbewandert. Als sein Vater starb, sah er die Gelegenheit, diese Macht tats�chlich zu bekommen. Aber er konnte sich nicht mit einer einzigen Stadt begn�gen. Er will das ganze Land besitzen."

"Seinen Bruder hat er schon verschwinden lassen...", knurrte die Ratte.

"Mit den Truppen, die er ausheben konnte, war das nicht zu bewerkstelligen", fuhr Khiray fort. "Also nahm er Kontakt mit dem D�mon auf, oder der D�mon beobachtet ihn, sieht sein Dilemma und beschlie�t, sich mit ihm zu verb�nden. Was der D�mon im Sinn hat, wei� ich nicht."

"Tod und Verderben", behauptete Pallys. "Die Ushinki sind daf�r bekannt, da� sie sich an den negativen Gef�hlen der Sterblichen weiden. Sie trinken Furcht und Ha�, Panik und Verzweiflung, Todesangst und Verbitterung, wie wir Wein genie�en w�rden. Aber D�monen sind in der Welt der Sterblichen nicht willkommen. Sie brauchen ein Portal, einen Partner in der Ebene der Felligen. Und sie m�ssen sich verkleiden, damit ihre Gegner sie nicht zu Gesicht bekommen."

"Gegner?" Delley verschr�nkte die Arme. "Das wird mir langsam zu kompliziert. Welche Gegner? Zauberer?"

"Erzengel", erkl�rte das Kaninchen. "Die Diener der G�tter. Sie wachen �ber die ganze Welt. Ein D�mon kann es sich nicht leisten, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Azzhuzzim Beladanar spielt Galbrens Berater, um ihren Augen zu entgehen."

"Erzengel", wiederholte Khiray. "F�chschen mit Fl�geln?"

"Unsinn", grollte Pallys. "Das sind Geschichten f�r Kinder. Die Erzengel sind m�chtige Wesen, geboren aus den Feuern eines Uranfangs, dem auch die G�tter entsprangen. Kein Sterblicher entsinnt sich dieser Zeiten. Erzengel sind keine Felligen -- ich glaube nicht, da� es auf dieser Welt Wesen mit ihrer Gestalt gibt."

"Wie sehen sie wirklich aus?"

"Ich habe noch keinen gesehen. Aber Erzengel wandeln oft unter den Sterblichen, und es gibt viele Berichte �ber sie. Sie sollen einen K�rper haben, �hnlich den Men'schin, ohne Fell. Der Kopf eines gro�en Raubvogels sitzt auf ihren Schultern, und sie haben auch seine Fl�gel. Die F��e sind weder wie bei Men'schin noch wie bei Felligen, sondern Vogelkrallen, und der ganze K�rper ist aus Gold gegossen. Ihre Form ist perfekt, und die Macht, die sie ausstrahlen, blendet selbst Zauberer. Sie sind gro� wie B�ren, aber ihre K�rperkraft geht noch weit �ber deren hinaus, und durch ihre Magie sind sie unantastbar."

Unbehaglich versuchte sich Khiray vorzustellen, wie so ein Erzengel sein w�rde. Ein Vogelkopf? Er hatte noch nie ein Wesen mit Vogelkopf gesehen. Der K�rper hatte kein Fell; hatte der Kopf Federn? Und warum erz�hlte man den Kindern von F�chschen mit Fl�geln, wenn die Wahrheit doch allgemein bekannt war?

Um ihnen keine Angst zu machen? Ein Wesen in Magie gekleidet mu�te schrecklich wirken. Vielleicht glorreich und gewaltig, aber auch entsetzlich und machtvoll.

"Also hofft der D�mon auf viele Tote", sinnierte Khiray. "Und die wird er bekommen... hat er schon bekommen..." Er legte die Ohren an. "Die B�ren, die die Fuchstauren get�tet haben, scheinen mir ebenfalls D�monen zu sein. Also hat Galbren nicht nur ein Heer aus Felligen, sondern eine Armee der D�monen. Damit k�nnte er sein Ziel erreichen und Drunf�rst Kooradah st�rzen."

"Wenn er D�monen hat, braucht er wohl keine normalen Truppen mehr", warf Delley ein. "Wozu dann die Anwerbungen?"

Khiray lachte bitter. "Was w�rdest du denken, wenn Galbren mit einer aus dem Nichts geschaffenen Armee aus D�monen Drun'kaal einnehmen w�rde? Wenn er sich selbst zu einem Tyrannen mit �bernat�rlichen Verb�ndeten erheben w�rde? Die Leute w�rden ihn hassen, verachten oder sogar bek�mpfen. Du kannst gegen ein Heer k�mpfen, aber nicht gegen all jene, die du beherrschen willst. Nein, Galbren braucht zwei Dinge, wenn er Kooradah entmachten will: einen guten Grund, den das Volk akzeptiert, und Fellige, die aus �berzeugung f�r ihn eintreten, ihr Leben geben oder nach der Schlacht davon erz�hlen. Letzteres hat er: seine Garden. Arme Leute, denen er eine Aufgabe und einen Lebensunterhalt gegeben hat. Leute, die ohne es zu wissen Seite an Seite mit verkleideten D�monen k�mpfen werden. Wenn Galbren Drunf�rst ist, werden die D�monen vielleicht verschwinden, aber es werden immer Veteranen bleiben, die vom Krieg erz�hlen. Die Felligen in seiner Armee sind die Tarnung f�r die D�monen."

"Und es w�rde den Erzengeln auffallen, wenn Galbren pl�tzlich ein tausendk�pfiges Heer h�tte", erg�nzte Pallys. "Sie k�nnen die Augen nicht �berall haben, aber ein solches Ereignis wird ihnen nicht verborgen bleiben. Schon deshalb mu� Galbren sich jedenfalls den Anschein geben, Truppen ausgehoben zu haben."

"Den Grund", fuhr Khiray fort, "baut Galbren schon die ganze Zeit �ber sehr sorgf�ltig auf. Furcht. Furcht vor Fremden, gegen die ein scheinbar unt�tiger Drunf�rst nichts unternimmt. Der D�mon hat in der Verhandlung den Leuten eingeredet, die Men'schin seien ihnen feindselig gesonnen und gierten nach ihrem Land. Der Mord an meinem Vater hat den Zorn wachgerufen. Der Kampf gegen die Fuchstauren hat die B�rger mit Angst erf�llt."

Delley hieb mit der Hand auf die Stuhllehne. "Er hat die Fuchstauren in den Kampf getrieben."

Langsam nickte Khiray. "Es war Galbren. Galbren hat meinen Vater get�tet, oder der D�mon in seinem Auftrag. Galbren und der D�mon haben alle Beweise so manipuliert, da� Dek als der Schuldige erscheinen mu�te. Und er hat es ihnen mit seinem Verhalten leicht gemacht." Zorn pulste hei� durch seine Adern. Er sp�rte, wie seine Ohren gl�hten. "Es ging ihm nicht nur um das Geheimnis des Trollstahls, obwohl er auch das sicher besitzen wollte. Er hat eine �ffentliche Schlacht provoziert, mit zahllosen Toten..."

"... acht Garden, sechs zu Tode getrampelte Fellige, an die f�nfzig Verletzte...", z�hlte Pallys auf.

"...und vier Fuchstauren", grollte Khiray. "Alles, um Panik zu erzeugen, um seine Anschuldigungen und ma�losen �bertreibungen zu untermauern. Damit sich Ger�chte ausbreiten, damit alle Fremden als b�sartige Wilde dastehen, als potentielle Eroberer... er sch�rt den Ha�..."

Delley gab ein spuckendes Ger�usch von sich. "Kleine Schiffe haben den Hafen noch am selben Tag verlassen. Die Ger�chte sind schon unterwegs."

"All das gibt ihm in den Augen des Volkes das Recht, von Drunf�rst Kooradah Aktionen gegen die Fremden zu verlangen. Kooradah wird nat�rlich nichts unternehmen. Warum sollte er auch? Nach Drun'kaal bringen die Fremden ja nur Reichtum. Aber Galbren kann sein Spiel wiederholen, wo immer Fremde auftauchen, und seine Armee weiter ausbauen, bis der ganze Norden in seiner Hand ist. Und das Volk wird ihn als Besch�tzer feiern. Er wei� zu reden, er kann die Geschichte nach seinem Gutd�nken auslegen. Irgendwann wird er einen Vorwand finden, sein Heer gegen Kooradah zu senden, und dank der D�monen siegen. Dann geh�rt der Armygan ihm."

"Furcht in der einen Hand", murmelte das Kaninchen, "Hoffnung in der anderen."

"Das kann er nicht tun", platzte Delley heraus. "Die Leute k�nnen ihm doch nicht alles abnehmen! Jemand mu� doch eine solche T�uschung durchschauen!"

"T�uschung?" lie� Pallys sich leise vernehmen. "Wahrheit liegt wie die Sch�nheit im Auge des Betrachters. Galbren tut mehr, als die Leute nur zu t�uschen. Er errichtet eine ganz neue Wahrheit. Er formt die Welt nach seinem Bild."

"Das kann er nicht tun", wiederholte die Ratte �chzend.

"Er hat bereits begonnen." Das Kaninchen sch�ttelte den Kopf. "Er hat bereits begonnen."

* * *

Pallys' Wohnung schien kleiner zu sein als noch Tage zuvor, als Khiray seinen alten Lehrer besucht hatte. Die B�cher in den Regalen, die der junge Fuchs einmal als unerme�lichen Schatz betrachtet hatte, schienen im Licht von Galbrens Pl�nen bedeutungslos.

Pallys w�hlte wortlos in einer alten, eichenen Truhe.

"Wir k�nnen nicht gegen D�monen k�mpfen", sagte Delley. "Wir m�ssen den Drunf�rsten benachrichtigen. Er wei� sicher, was zu tun ist. Vielleicht ruft er so einen Erzengel, um die D�monen zu vertreiben. Ohne die ist Galbrens Heer nicht mehr viel wert."

Khiray nickte. "Allein k�nnen wir nichts gegen Galbren ausrichten. Aber ich mu� zuerst wissen, wo Saljin und Dek sind. Ich k�nnte sie niemals zur�cklassen."

"Das ist gef�hrlich", sagte Pallys aus den Tiefen der Truhe.

"Wenn ich es nicht schaffe, m��t ihr allein nach Drun'kaal fahren", stellte Khiray klar. "Aber ich mu� es jedenfalls versuchen. Was ist mit der Mannschaft?"

Delley hob die H�nde. "Was noch davon �brig ist... na ja, einige haben gek�ndigt und das Schiff verlassen..." Die Ratte winkte ab. "Manche halten dich f�r einen Verr�ter. Tut mir leid. Andere glauben, da� du keine guten Gesch�fte mehr machen wirst und ihren Lohn schuldig bleibst. Ich habe sie ausgezahlt."

Khiray nickte. "Der Rest?"

"Die, die noch da sind, stehen treu zu deiner Familie. Wir haben genug Leute, um die 'Silberne Ansicc' zu fahren."

Das war besser, als der junge Fuchs sich erhofft hatte. Offenbar hatten Galbrens versteckte und offene Anschuldigungen nicht bei jedermann den gew�nschten Effekt. "La� alle an Bord gehen. Falls ich Saljin und Dek finde, m�ssen wir Sookandil wom�glich schnell verlassen." Er sprach nicht aus, da� er die Fuchstauren befreien wollte: das erschien ihm mittlerweile selbstverst�ndlich. Er wu�te nicht, wo sie waren, wie man sie bewachte, ob er es �berhaupt bewerkstelligen konnte, in ihren geheimen Kerker einzudringen -- oder ob sie noch lebten. Aber er war entschlossen, sein M�glichstes zu tun.

Pallys warf einige K�stchen und Schachteln auf den Tisch. "Das wirst du brauchen."

"Wir haben noch nicht einmal einen Plan", gab Delley zu bedenken.

"Ich glaube, ich wei�, wo die Fuchstauren sind", sagte das Kaninchen. "Es gibt geheime R�ume, seit langem vergessen, unterhalb der Stadt. Ich wei� nicht, wie Galbren davon erfahren haben k�nnte -- vielleicht sind diese R�ume gar nicht so geheim, und das Wissen wird unter den Gouverneuren von Generation zu Generation weitergegeben. Vielleicht hat auch der D�mon ihm davon berichtet."

"Geheime R�ume?" Delleys Schnurrhaare bebten.

"Vor etwas mehr als zweihundert Jahren erbaute einer von Galbrens Ahnen das gro�e Mauerst�ck, das heute das Tagel�hnerviertel vom Zentrum trennt. Dabei lie� er auch unterhalb der Mauer, im Fundament der T�rme, R�ume einrichten. Ein Gang, der direkt unter der Mauer verl�uft, verbindet diese R�ume miteinander; ein weiterer Gang f�hrt zum Gouverneurspalast. Wenn ich mich recht entsinne, endet dieser Gang in der Wachstube der Kerker. Es gibt aber auch geheime Eing�nge von den Mauert�rmen aus. Niemand wei� mehr davon; nachdem die Bauarbeiten eingestellt worden waren, hat man angeblich alles zugesch�ttet und vermauert. Aber in Wahrheit existieren die R�ume noch. Der Sohn des damaligen Gouverneurs hielt zwar gar nichts von den Baupl�nen seines Vaters, aber eine geheime Zuflucht zu haben schien ihm n�tzlich. Die Kammern sind so tief gelegen, da� kein Laut aus ihnen dringen kann."

"Woher wei�t du das alles?" wollte Delley wissen.

Pallys hob die Augenbrauen. "Ich habe meinen Anteil an den Geheimnissen dieser Stadt."

Khiray hatte den Eindruck, da� die Fragen um Galbren nicht die einzigen R�tsel in dieser Stadt waren. Aber er vertraute Pallys. Das Wissen des Lehrers war das einzige, was ihm im Moment zur Verf�gung stand. "Bist du sicher, da� Saljin und Dek dort sind?"

"Sicher?" Das Kaninchen grunzte. "Nein. Es ist nur eine M�glichkeit. Ich habe nur daran gedacht, weil niemand zu wissen scheint, wo sie sind. Genausogut k�nnte Galbren sie aus der Stadt gebracht haben. Aber das halte ich f�r unwahrscheinlich. Nein, alle deine Fragen kann ich nicht beantworten. Ich wei� nicht einmal, welche R�ume noch existieren, ob die geheimen Zug�nge entdeckt oder vermauert worden sind, oder was dich dort erwartet. Ich bin kein Geist aus der Flasche, der mit allen Antworten aufwartet, wenn du den St�psel ziehst." Argw�hnisch musterte er Khiray. "Ich gehe doch recht in der Annahme, da� du selbst in diesen R�umen nach den Fuchstauren suchen willst?"

Khiray zuckte die Achseln. "Wollen ist das falsche Wort. Ich habe keine Wahl, oder? Es ist unser einziger Hinweis."

"Wir k�nnten sofort nach Drun'kaal aufbrechen." Pallys blickte wehm�tig �ber die Reihen seiner B�cher.

"Nein", sagte der Fuchs fest. Das alles war in gewisser Weise ja seine Schuld. H�tte er nicht das Gesch�ft mit den Waffen get�tigt, h�tte Galbren niemals eine M�glichkeit gesehen, durch Saswins Ermordung den Ha� auf die Fuchstauren zu sch�ren. Vielleicht h�tte er den Fremden etwas anderes angeh�ngt, aber sein Vater...

...sein Vater w�rde vielleicht noch leben.

Der Schmerz �ber seinen Verlust war noch zu frisch. Khiray weigerte sich daran zu denken. Die Dinge waren nun einmal passiert -- und wenn jemand schuld an Saswins Tod war, dann Galbren.

Aber er war den Fuchstauren verpflichtet. Sein Schicksal und ihres waren verkn�pft.

Und Saljin...

"Liebst du sie?" wollte Pallys wissen, als h�tte er seine Gedanken gelesen.

"Ich kenne sie kaum", erwiderte Khiray. "Ich wei� nicht... Es ist ein so komisches Gef�hl."

Das Kaninchen nickte. "Das ist es immer. Aber la� dich nicht von deinen Gef�hlen blenden." Der Lehrer �ffnete eine der Schachteln und nahm zwei r�tliche, flache Kristallscheiben heraus. "Hier, das ist ein magisches Werkzeug aus einem fernen Land. Man kann �ber diese Scheiben miteinander sprechen, egal wo man ist. Sobald der Zauber aktiviert ist, �bertragen die Scheiben alle Ger�usche." Er gab Delley eine der Scheiben, Khiray die andere. "Wenn irgend etwas passiert, gib Alarm. Und das hier ist Ruchkraut." Er klappte ein K�stchen auf. "Ich kann dich nicht unsichtbar machen, aber diese Salbe aus dem Kraut verschluckt deinen Geruch, wenn du sie ins Fell einreibst. Selbst Wolfsnasen k�nnen dich nicht mehr ausmachen."

Khiray starrte auf die schleimige Masse. "Igitt."

Delley grinste. "Das sieht aus wie damals, als wir durch die Kan�le..."

"Erinnere mich blo� nicht." Khiray seufzte. "Nun ja, vielen Dank."

"Ich verrate dir, wo die Eing�nge in den T�rmen sind und wie man sie �ffnet", fuhr Pallys fort. "Du wirst bis zur Nacht warten m�ssen. Bist du sicher, da� du nicht noch ein paar Tage Ruhe brauchst?"

"Ganz sicher." Sie hatten nicht die Zeit daf�r. Wer wu�te denn, was Galbren den �berlebenden Fuchstauren antat? Zwar f�hlte sich Khiray noch immer etwas benommen, aber bis zum Einbruch der Nacht waren es noch einige Stunden. Er hatte noch Zeit, sich auszuruhen.

"Delley und ich werden die restliche Mannschaft zusammentrommeln und f�r den Fall eines Falles auf dem Schiff warten. Vielleicht kannst du die Fuchstauren befreien, vielleicht nicht. Wir werden sehen. Aber wenn du Erfolg hast, werden wir ablegen m�ssen, ehe die D�monen dich verfolgen k�nnen."

D�monen. Die B�ren. Khiray schauderte. Von den riesigen Wesen ging eine sehr reale Bedrohung aus. Der Gedanke, sich heimlich aus Sookandil davonzustehlen, war attraktiv genug. Vielleicht w�rde Galbren annehmen, da� er die Stadt verlassen hatte, um sein Gl�ck anderswo zu suchen. Wenn er aber zuerst die Fuchstauren befreite, w�rde der Gouverneur wissen, da� sein Plan durchschaut worden war, und sie sicherlich verfolgen lassen.

Nein. Er konnte sie nicht im Stich lassen. Wenn sie noch lebten, und wenn er die Chance bekam, sie aus Galbrens Klauen zu retten, mu�te er es tun.

Konnten die D�monen sich aus dem Nichts materialisieren? Konnten sie mit einem Gedanken gro�e Entfernungen �berbr�cken? Waren sie zu gewaltiger Magie f�hig? Khiray hoffte nicht. Aber er wu�te nichts �ber seine Gegner. Was Pallys ihm erz�hlt hatte, war beunruhigend genug. Die D�monen mu�ten die Grenzen ihrer sterblichen K�rper beachten -- sie mu�ten einfach. Wenn sie neben ihrer gewaltigen Kraft und ihrer Widerstandsf�higkeit auch noch d�monische Magie wirken konnten, hatten er, Delley und Pallys gar keine Chance.

So oder so mochte er sie alle dem Tod ausliefern. Aber er hatte seine Entscheidung gef�llt. Er w�rde damit leben -- oder sterben m�ssen.

* * *

Der Turm ragte vor ihm auf, d�ster und gedrungen. Er schien Teil einer Festung zu sein, nur da� sich die zugeh�rige Mauer nur auf einer Seite des Turmes erhob. Niemand war in der N�he. Die Nacht hatte ihren schweigenden Mantel �ber Sookandil gezogen. Der Pulsschlag der Furcht und des Zorns war fast k�rperlich sp�rbar. Ein k�hler Wind trieb aus dem Norden heran. Khiray fr�stelte.

Mit Ausnahme eines G�rtels, in dem ein Mei�el, zwei Messer und ein Dolch steckte, war er nackt. Sein ganzer K�rper war mit glitschiger Salbe eingerieben, die sein Fell verklebte und es struppig machte. Er konnte sich selbst nicht mehr riechen, was ihm seltsam genug erschien; hoffentlich konnten die D�monen ihn auch nicht wahrnehmen. Die Salbe hatte auch den Glanz aus seinem Fell genommen und es grau und braun verschmiert; vielleicht reichte das als optische Tarnung aus.

Er hielt sich nicht lange im Freien auf. Je l�nger er f�r jedermann sichtbar blieb, um so wahrscheinlicher wurde es, da� er tats�chlich gesehen -- und verraten wurde. Er betrat die kleine Wachstube im untersten Stock des Turms durch die schwere h�lzerne T�r.

Nat�rlich hielt sich niemand darin auf. Wachen hatten diesen Raum nie benutzt; wozu auch? Die Mauer war ja nie fertiggestellt worden. Ab und zu verkrochen sich obdachlose Fellige im Winter hier, aber jetzt war es noch zu warm, um eine fensterlose, stickige Stube dem freien Wald und Feld vorzuziehen. Au�erdem war ein Gro�teil der Armen in die Garden eingetreten und hatte es nicht mehr n�tig, heimlich Unterschlupf zu suchen.

Es befanden sich keine M�bel in der Wachstube. Eine steinerne Treppe f�hrte in die zweite Etage. Der einfache Kamin, mit dem man die Stube heizen konnte, war seit Jahren unbenutzt. Khiray ging in die Ecke, die von Wand und Kamin gebildet wurde, und begann gem�� Pallys' Beschreibungen nach dem Mechanismus zu suchen.

Pallys. Das Kaninchen war ein weiteres R�tsel. Der alte Lehrer schien die richtigen Antworten und L�sungen auf alle Fragen, die Khiray bedr�ckten, parat zu haben. Ohne ihn h�tte er nicht einmal vermutet, da� es hier tief in der Erde verborgen geheime R�ume gab, geschweige denn den Zugang gefunden. Auch da� Alfon Sanass ein D�mon war, w�re ihm nicht in den Sinn gekommen. Pallys besa� magische Hilfsmittel wie die Sprechscheiben und so n�tzliche (wenngleich eklige) Dinge wie das Ruchkraut. Woher hatte er sein Wissen, woher all diese Dinge? Gesammelt in einem langen Leben, w�rde das Kaninchen gesagt haben.

Aber war Pallys wirklich, was er zu sein vorgab? Die Angelegenheit mit dem D�mon Azzhuzzim Beladanar hatte Khiray mi�trauisch werden lassen. Manche Erscheinung war nur eine Maske. Was, wenn auch das Kaninchen ein magisches Wesen war? Er konnte nur hoffen, da� Pallys wirklich auf ihrer Seite stand.

Da� dieser geheime Eingang nicht direkt in eine Falle f�hrte.

Hatte er das Spiel jetzt verstanden? Azzhuzzim konnte er schlecht fragen. Letztlich gab es keine Gewi�heit -- vielleicht war alles, was er, Delley und Pallys �ber Galbrens Pl�ne vermutet hatten, falsch. Er setzte sein Leben auf eine Vermutung...

Nein. Dies war nicht der Zeitpunkt f�r Zweifel. Er mu�te seinem Gef�hl vertrauen.

Der Deckel lie� sich erst knirschend und scharrend anheben, nachdem Khiray mit dem Mei�el alten M�rtel von den Fliesen geschlagen hatte. Kein Wunder, da� niemand je den Zugang gefunden hatte!

Abgestandene, faulige Luft schlug Khiray entgegen. Ein schmaler Schacht f�hrte senkrecht in die Tiefe. Rostige Eisengriffe boten einen unsicheren Halt. Nach wenigen Metern versank das Loch in v�lliger Finsternis.

Widerwillig vertraute sich Khiray der behelfsm��igen Leiter an. Schleimige Flechten k�mmerten in der Dunkelheit. Rost rieselte unter seinen Pfoten hervor. Er begann mit dem Abstieg.

�ber ihm schlo� sich der Mechanismus des geheimen Ganges wie der Deckel eines Men'schin-Sarges.


Ende von Kapitel Acht