Khiray sah zu Saljin hin�ber. Er hatte Schwierigkeiten, mit ihrem lockeren Trab mitzuhalten. Die Fuchstauren waren f�r das Laufen geboren, w�hrend er selbst an lange Strecken nicht gew�hnt war. Das Leben auf einem Schiff hatte seine Nachteile.
"Was?"
Saljin breitete die Arme aus. W�hrend die Felligen beim Laufen die Arme wie Pendel gegens�tzlich zu den Beinen bewegten und meist noch den Schwanz als Ausgleich f�r ein besseres Gleichgewicht benutzten, schienen die Fuchstauren beliebig mit den Armen gestikulieren zu k�nnen. Nat�rlich, sie waren ja Vierbeiner; ihre Vorderbeine glichen den Bewegungsrhythmus aus. Ob sie im schnellen Lauf, im Galopp, Arme und Schwanz ben�tigten?
Seltsam, dachte Khiray. Warum fielen ihm gerade jetzt solche unwichtigen Kleinigkeiten auf?
"Alles", sagte Saljin. "Uns helfen. Dek retten. Du sprichst gegen dein eigenes Volk. Und das, obwohl du glauben mu�t, da� er deinen Vater get�tet hat."
"Ich glaube es eben nicht", knurrte Khiray. "Und wenn er es nicht war, dann l�uft der wahre M�rder noch frei herum. Ihn will ich."
"Du w�rdest sonst nicht f�r uns sprechen?"
"Ich w�rde tun, was richtig ist." Khiray ging langsamer, und Saljin pa�te sich seinem Schritt an. Er konnte nicht reden und gleichzeitig dieses Tempo durchhalten. Noch blieb genug Zeit. Galbren w�rde Dek nicht ohne eine Verhandlung h�ngen, soviel war sicher. "Es war nicht richtig, euch aus der Stadt zu jagen. Und es ist nicht richtig, was Onkel Farlin tut... Er hetzt die Leute gegen euch auf. Er will Gardist werden. Er ist wie verwandelt."
"Vielleicht ist er wirklich verwandelt?" Saljins Gesicht nahm einen fragenden Ausdruck an.
"Was meinst du?"
"In unserem Volk gibt es Fuchstauren mit besonderen Talenten -- Magier. Sie besitzen gro�e Macht, k�nnen Verletzte und Kranke heilen und verseuchte Quellen wieder klar machen. Manche aber beeinflussen mit ihrer Macht andere, ihnen zu Willen zu sein. Ab und zu erhebt sich einer dieser Magier und strebt nach Macht �ber das Land der Fuchstauren. Dann versammeln sich die anderen Magier, um ihn zu Fall zu bringen. Erst vor hundert Jahren gab es einen... aber das ist eine lange Geschichte. Jedenfalls k�nnte es doch sein, da� jemand deinem Onkel Gedanken eingegeben hat, die gar nicht die seinen sind!"
Khiray �berlegte einen Moment. Magie geh�rte nicht zu seinem unmittelbaren Erfahrungsbereich. All die technische Magie, die er gesehen hatte, sowohl im Armygan als auch bei den Men'schin, war f�r so etwas wie geistige Kontrolle ungeeignet. Aber der Wurm-Berater... er geh�rte nicht zu den vertrauten Spielarten der Magie. Er war fremd, unsagbar fremd.
Aber vielleicht gab es gar keinen Zusammenhang, wie Khiray ihn sich einbildete. "M�glich", sagte er. "Aber andererseits standen sich er und mein Vater immer sehr nahe. Dieser Verlust hat ihn vielleicht so ver�ndert."
Saljin blickte nachdenklich drein. "Wenn aber auch nur der Verdacht besteht, da� Magie im Spiel ist, m�ssen wir sehr vorsichtig sein. Magier sind gef�hrlich."
Khiray sch�ttelte den Kopf. "Wir haben keine Wahl, oder? Wir m�ssen zur�ck nach Sookandil und deinen Bruder verteidigen." Aber er hatte ein flaues Gef�hl im Magen.
"Kleines Fellwesen. Bauer in einem Spiel, das du nicht verstehst, von dem du nichts ahnst." Er wu�te immer noch nicht genug, um die Teile des Puzzles zusammenzuf�gen. Und das Spiel mochte sich schnell als t�dlich erweisen.
Zu Khirays �berraschung wartete Pallys am Stadtrand auf sie. Er war der einzige Fellige in Sicht. Alle anderen, soweit sie nicht mit wichtiger Arbeit besch�ftigt waren, schienen zur gro�en Stadthalle gegangen zu sein, um dem Proze� beizuwohnen.
"Du solltest dir genau �berlegen, was du sagst", sagte das Kaninchen.
"Woher wei�t du, wohin ich gegangen bin?" fragte Khiray.
"Delley hat es mir gesagt. Ich wollte mit dir reden, aber du warst schon fort." Er musterte Saljin von oben bis unten. "Bist du sicher, da� das eine gute Idee ist?"
Saljin verschr�nkte die Arme. "Was soll das hei�en?"
Das Kaninchen runzelte die Stirn und legte die Ohren an. "Es war noch nie besonders klug, sich auf einen Streit mit den M�chtigen einzulassen. Sich gegen die Garden zu stellen, ist ziemlich dumm, m�chte ich meinen."
"Es geht um das Leben meines Bruders." Saljin blickte Pallys finster an.
"Wenn Galbren deinen Bruder verurteilen will, wird er es tun, ob du da bist oder nicht. Ihr k�nnt nichts sagen, was die Beweise entkr�ftet, ihr k�nnt euch allenfalls einen Feind machen."
"Schl�gst du etwa vor, wir sollen uns verstecken, zusehen, wie er Dek h�ngt, und uns heimlich davonschleichen, mit dem Schwanz zwischen den Beinen?" brauste Khiray auf. "Das h�tte ich von dir nicht erwartet!"
Pallys winkte ab. "Du hast noch nicht genug Erfahrung mit der Willk�r der M�chtigen gesammelt, ich schon. Ich lebe schon sehr lange, und ich habe an vielen Orten und zu vielen Zeiten immer wieder dasselbe gesehen. Macht begr�ndet Recht."
"Es gibt ein Gesetz im Armygan. Es gibt eine Gerechtigkeit." Khiray wu�te nicht, was er von Pallys' Ausf�hrungen halten sollte. Glaubte das Kaninchen etwa, da� Galbren ein pers�nliches Interesse daran hatte, Dek h�ngen zu sehen? Was sollte der Gouverneur davon haben?
Pallys l�chelte schwach. Es war ein gleicherma�en grimmiges und resigniertes L�cheln. "Wenn du gesehen h�ttest, was ich gesehen habe, w�rdest du auch nicht an Gerechtigkeit glauben. Jene, die herrschen, machen nicht nur die Gesetze. Sie sind das Gesetz."
"Selbst wenn." Khiray atmete tief durch. "Galbren hat keinen Grund, in dieser Sache anders als unparteiisch zu handeln. Die Waffen sind gefunden worden, und �berhaupt hatte er sie noch nicht bezahlt. Er hat keinen Verlust erlitten. Und er hat ansonsten keine Beziehung zu den Fuchstauren."
"Trollstahl", sagte Pallys.
"Was?"
"Er will den Trollstahl f�r sich. Die Fuchstauren k�nnten das Wissen um diesen Stahl verbreiten. Wenn er sie ausschaltet und selbst Kontakt mit den Trollen aufnimmt, kann er seine Garden mit einzigartigen Waffen ausr�sten. Waffen, die niemand sonst im Armygan besitzt. Waffen, die selbst die Men'schin nicht haben!"
Khiray ging an Pallys vorbei und schlug den Weg zur Stadthalle ein. "Unsinn. Ich wei� vom Trollstahl. Hammyl wei� davon. Deso der Dachs. Farlin. Du. Alle, mit denen ich geredet habe, alle, mit denen ihr dann dar�ber gesprochen habt."
Pallys eilte wieder an seine Seite. "Nur ein paar Fellige. Und f�r sie ist es bis jetzt nur eine Kuriosit�t. Im Armygan herrscht schon seit so langer Zeit Frieden, da� neuen, besseren Waffen nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt wird. Galbren kann seine Truppen nach und nach mit Trollstahl ausr�sten und die st�rkste Streitmacht erhalten, die der Armygan je gesehen hat!"
Der junge Fuchs sch�ttelte den Kopf. "Das ergibt auch keinen Sinn. Wenn er eine solche Streitmacht bes��e, was w�rde er damit tun wollen? Die Garden sind nicht f�r den Krieg ausgebildet..." Er erinnerte sich daran, was er und Delley geh�rt hatten. Das Training der Gardisten mutete in der Tat an wie die Vorbereitungen f�r einen Krieg. Unbehaglich sprach er weiter. "Sie haben keine Erfahrung in der Schlacht, es gibt keine Veteranen unter ihnen. Und es sind zu wenige, um gegen eine andere Stadt zu ziehen. Oder gegen die Men'schin."
"Auch mit dem Vorteil des Trollstahls?"
"Stahl ist nur so gut wie die Hand, die ihn f�hrt", warf Saljin ein. "Ich wei� nicht, welche Dinge in dieser Stadt vorgehen. Aber eines wei� ich: um einen Krieg zu f�hren, braucht man mehr als nur Waffen."
Aber Khiray hatte das Gef�hl, da� sie einer schrecklichen Wahrheit auf der Spur waren. Irgend einen Zweck mu�ten die zahlreichen Garden haben. "Aber Galbren mu� Dek nicht hinrichten, um an den Trollstahl zu kommen. Die Fuchstauren kommen nur alle zehn Jahre hierher, wenn �berhaupt, also steht es Galbren frei, selbst Handel mit den Trollen zu treiben. Nein, ich glaube nicht, da� er parteiisch ist."
Pallys zuckte die Achseln und lie� die Ohren abknicken. "Du wirst schon sehen. Aber selbst wenn Galbren hier kein eigenes Spiel spielt und als ehrlicher Richter auftritt, wird er Dek verurteilen. Die Beweise sind erdr�ckend."
"Dann glaubst du also an Deks Schuld?" fragte Saljin.
Pallys blieb stehen und sah die Fuchstaurin lange an. "Nein", sagte er schlie�lich. "Ich bin fr�her viel gewandert. Ich war auch Gast deines Volkes und habe seine Gebr�uche studiert. Ihr m��tet euch sehr ge�ndert haben, um einen feigen M�rder hervorzubringen."
"Ich habe nie etwas davon geh�rt, da� ein Kaninchen die Ebenen bereist h�tte", entgegnete Saljin. "Nicht von meinem Stamm und nicht von anderen. Nicht einmal auf der Stammesversammlung. Vor f�nfzig Jahren oder so war eine Gruppe B�ren bei uns. Aber das letzte Kaninchen... das ist vierhundert Jahre her. Meine Urgro�mutter hat mir erz�hlt, was von Generation zu Generation weitergereicht wird. Es war ein Heiler, dieses Kaninchen, und es besa� ein wenig Magie. Es brachte viel Wissen um Kr�uter und Medizin zu uns."
Pallys sagte nichts, sondern schlo� wieder zu Khiray auf. Der Fuchs fragte: "Wenn du glaubst, da� Dek unschuldig ist, dann mu�t du uns helfen."
"Ich habe dir schon gesagt, es ist nicht klug, sich auf eine Fehde mit den M�chtigen einzulassen", entgegnete Pallys heftig. "Das ist nicht mein Spiel, und auch nicht deines. Belade das Schiff und verschwinde von hier."
Khiray drehte sich ruckartig zu Pallys um und packte das Kaninchen an der Weste. Es w�re ihm fr�her nie eingefallen, den Lehrer so respektlos zu behandeln, aber dieses feige Geschw�tz lie� Pallys in seiner Achtung stark sinken. "Das ist Kaninchenart, nicht wahr? Alles fallenlassen und fliehen! Aber es ist nicht Fuchs-Art! Irgendwo da drau�en hockt der M�rder meines Vaters, und wenn Galbren Dek h�ngen l��t, wird er sich ins F�ustchen lachen! Aber ich schw�re dir: er lacht nicht mehr lange!" Er bleckte die Z�hne und lie� ein drohendes Knurren h�ren, als sei Pallys der unbekannte M�rder.
Das Kaninchen machte sich von ihm los. "Kein Grund, gleich ausfallend zu werden! Gut, ich versuche, mit Galbren zu reden. Aber ich sage dir gleich, das ist eine schlechte Strategie!"
Khiray dachte an die Fuchstauren im Wald, die sich zur Schlacht r�steten. Reden schien ihm nicht der schlechteste Weg, Dek zu helfen. Es gab Alternativen, die eher ins Desaster f�hren konnten.
Die gro�e Stadthalle z�hlte zu den �ltesten und gewaltigsten Geb�uden Sookandils. Ein Teil der Halle war jedoch unterirdisch angelegt, so da� die Ausma�e des Bauwerks erst offenbar wurden, wenn man das Innere betrat. Von au�en war nur die h�chste Kuppel zu sehen sowie die sechs rundherum angeordneten Eingangstore, jedes mit einem kleinen Glockenturm versehen. Im Inneren der Tore f�hrten Treppen und Rampen abw�rts.
Der Boden der kreisrunden Halle selbst lag f�nfzehn Meter unter der Erde. Die Halle befand sich auf einem der gro�en H�gel, anderenfalls w�re der Wasserspiegel des Flusses �ber dem Bodenniveau gewesen und Feuchtigkeit in den Raum gesickert. Auch so schien es drei Probleme mit einem unterirdischen Bau zu geben: Grundwasser, Luft, Beleuchtung. Aber die Stadthalle war von Dachs-Magiern errichtet und ausgestattet worden, die mit diesen Schwierigkeiten wohlvertraut waren. Obgleich die Magie in diesem Bauwerk nicht offensichtlich war, sch�tzten doch vielf�ltige Zauber den Raum.
Die Halle besa� den dreifachen Durchmesser der Kuppel, die oben sichtbar war. Was als Eingangst�rme von den Stra�en zug�nglich war, stellte in der Tiefe einen Kreis hohler S�ulen dar, die die Treppen bargen und das Gew�lbe st�tzten. Das Zentrum dieses Kreises war ein erh�htes Podest. Au�erhalb der S�ulen, im �u�eren Ring, stiegen Sitzreihen trichterf�rmig an.
Von den Eingangss�ulen konnte man die Sitzreihen hinaufsteigen -- hinter den S�ulen befanden sich breite Stufen, keine Sitze, da man von dort sowieso nicht ins Zentrum blicken konnte -- und gelangte schlie�lich zu Emporen, die sich die W�nde entlangzogen. Hier nahmen die Vornehmen und Reichen der Stadt Platz.
Das Zentrum wurde durch die Kuppel beleuchtet, die aus lichtdurchl�ssigem Kristall gefertigt war, oder alternativ von Lampenkr�nzen, die die S�ulen umwanden. Die Gel�nder der Emporen trugen weitere magische Lampen. In der Halle konnte man naturgem�� keine Fackeln verwenden, die den Kristall verru�t und die Luft verschlechtert h�tten.
Das Podest des Zentrums war gro�z�gig und einfach gebaut. Drei T�ren befanden sich versenkt im Podest, die in einen weiteren Raum noch unterhalb der Halle f�hrten. Dieser Raum war mit weiteren Treppen mit einem Haus an der Oberfl�che verbunden. Je nach Zweck konnte das Podest als B�hne, als Gerichtssaal, als Podium, oder was immer ben�tigt wurde, ausgestattet werden. Man hielt hier B�rgerversammlungen ab, sa� zu Gericht, verlas Gesetze, versammelte sich zu festlichen Anl�ssen oder lauschte den Predigten der Priester.
Die Stadthalle bot zweitausend Felligen Platz, nicht eingerechnet die Emporen, auf denen noch einmal hundertf�nzig Personen unterkamen. Das war nicht ann�hernd die Bev�lkerung der Stadt, aber normalerweise gen�gte es, um allen Interessierten die Teilnahme an einer Veranstaltung zu erm�glichen. In diesem Fall jedoch, sah Khiray, reichte die Kapazit�t der Halle bei weitem nicht aus. Hunderte von Felligen hatten sich drau�en um die Kuppel versammelt, die offenbar im Inneren keinen Platz mehr gefunden hatten. Einige hatten sich auf die Kuppel selbst gewagt und sp�hten durch den Kristall ins Innere. Murmelnde, diskutierende Gruppen dr�ngten sich in den Stra�en. Gardisten standen herum, um die Ordnung zu bewahren. Die halbe Einwohnerschaft von Sookandil schien hier zu sein, von den �rmsten Tagel�hnern bis zu den reichen Kaufleuten. Die Tatsache, da� selbst wohlhabende B�rger vor den T�rmen warten mu�ten, statt ihre Pl�tze auf den Emporen einzunehmen, deutete darauf hin, da� die Halle weit �berbelegt war.
Als die ersten Khiray, Saljin und Pallys sahen, wurde die Unruhe schnell gr��er. Niemand hob eine Hand gegen die Fuchstaurin, aber die ersten Beschimpfungen erklangen aus der Menge. Eine Gasse �ffnete sich f�r die drei, ohne da� die Gardisten jemanden zur�ckdr�ngen mu�ten; ob aus Furcht oder Abscheu vor der Fuchstaurin, konnte Khiray nicht sagen.
Sie betraten einen Eingangsturm und bahnten sich einen Weg hinab in die Halle. Selbst auf den Stufen im Inneren der S�ulen sa�en Fellige, obgleich sie nichts sehen konnten.
Wie Khiray erwartet hatte, war die Halle �berf�llt. Das Rauschen der Ventilatoren, die die Luftsch�chte speisten, ging v�llig unter im Gemurmel und Fl�stern, Rauschen und Regen der Menge. Die Frischluftzufuhr konnte die Ger�che der Felligen nicht verdr�ngen; ohne hinzusehen wu�te Khiray, da� alle Rassen, Altersgruppen, Geschlechter und soziale Ebenen vertreten waren. Er konnte Zorn riechen, Aufruhr, Emp�rung, aber auch Furcht.
Das Podest war als Gerichtsstand zurechtgemacht. Der Stuhl des obersten Richters -- in diesem Falle Galbren, da Sookandil nicht gro� genug f�r einen eigenen Richter war -- stand erh�ht, umgeben von weiteren Sitzen f�r Ankl�ger, Verteidiger und Zeugen. Die Verhandlung hatte noch nicht begonnen, und alle Sitze waren leer.
"Khiray! He, hierher!" Khiray h�rte Delleys Stimme. Die Ratte sa� in der ersten Reihe der Zuschauer -- auf dem Boden, denn die Sitzpl�tze waren dr�ngend voll; die Stufen zu den Emporen waren belegt, und auf jeden Platz kamen mindestens zwei Fellige, die ihn sich teilten.
Als die Menge Saljins ansichtig wurde, verwandelte sich die Halle in ein Tollhaus. Was vorher Gemurmel war, wurde zu einem einzigen unartikulierten Aufschrei. F�uste reckten sich in die Luft. Khiray konnte nicht verstehen, was die Menge rief, aber er brauchte es auch nicht.
Niemand verlie� jedoch seinen Platz. Die Menge wich vor Saljin zur�ck, trotz der Enge, und keiner machte Anstalten, sie k�rperlich anzugreifen.
In Delleys N�he befand sich auch der Rest der Mannschaft der 'Silbernen Ansicc'. Khiray stellte betr�bt fest, da� auch sie sich mit der ebbenden Menge zur�ckzogen, bis er, Delley, Saljin und Pallys eine leere Insel in der Halle besetzten, von allen Augen angestarrt. Farlin war nirgends zu sehen.
"Ich wei� nicht, ob das eine gute Idee war." Delley musterte besorgt die Menge, als erwarte er, da� sie jeden Moment angegriffen und in St�cke gerissen w�rden.
"Ich wei�, da� es keine gute Idee war", entgegnete Pallys. Seine Ohren zuckten nerv�s von einer Seite auf die andere.
Ehe Khiray die beiden zurechtweisen konnte, �ffneten sich die versenkten T�ren im Sockel des Podestes, und ein Trupp Gardisten marschierte heraus. Zwischen sich f�hrten sie Dek, in schweren Ketten gefangen. Sie schritten die Treppen zum Podest hinauf und erstarrten in Habachtstellung.
Hinter diesen Gardisten kam ein weiterer Trupp von zwanzig Mann. Diese waren jedoch nicht in die �bliche Uniform gekleidet, sondern mit roten W�msern, roten Hosen, roten Umh�ngen und Helmen mit roten Borten angetan. Sie waren schwer bewaffnet: Schwerter, Messer, Lanzen.
"Elitetruppen" h�rte Khiray jemanden fl�stern. Das Gemurmel erstarb und machte erwartungsvollem Schweigen Platz.
Elitetruppen? In einer kleinen Stadt am Rande der Zivilisation? Khiray war versucht, laut zu lachen.
Bei Theaterauff�hrungen wurde der Raum unterhalb des Podestes von den Schauspielern genutzt, um Requisiten aufzubewahren und sich umzukleiden. Nichts anderes konnte er hier sehen: eine Theaterauff�hrung. Vielleicht w�re das Schauspiel der Elitetruppen, die rings um das Podest marschierten und dann dort Aufstellung bezogen, eindrucksvoller gewesen, w�re nicht jemand Anf�hrer dieses Trupps gewesen, den Khiray kannte.
Farlin.
Sein Onkel im Rot der Truppen, beh�ngt mit Waffen, die er wahrscheinlich nicht richtig f�hren konnte -- er war H�ndler, kein Soldat!
Dann erschien Galbren, w�rdevoll in Richterkleidung, den bunten, bestickten Mantel �ber die goldene Sch�rpe drapiert. Er trug hohe Stiefel als Zeichen der Herrschaft sowie die gefiederte M�tze, die ein Symbol der Gerechtigkeit war. Khiray fragte sich, ob es wirklich Gerechtigkeit war, die hier ge�bt werden sollte.
Sehr langsam und bed�chtig schritt Galbren zum Podest empor und gab jedermann Gelegenheit, die Stickereien auf seinem Mantel zu bewundern. Niemand sollte an seiner W�rde zweifeln. Oben angekommen, nahm er im Richterstuhl Platz und klatschte in die H�nde.
Wo war der Ankl�ger? Wo blieb der Verteidiger?
"Wir haben uns heute hier versammelt, um Recht zu sprechen", sagte Galbren. Die Stadthalle besa� eine hervorragende Akustik, so da� man seine Worte bis ins hinterste Rund des Halle vernehmen konnte. "Der Angeklagte ist Dek der Fuchstaur, die Anklage lautet auf Mord. Das Opfer ist Saswin der Fuchs, H�ndler auf dem Schiff 'Silberner Ansicc'. Man lasse die Verhandlung beginnen."
"Wo ist der Ankl�ger?" fragte Khiray halblaut und fuhr zusammen. Seine Stimme war �berall zu h�ren -- nicht zuletzt auf dem Podium.
Galbren hob eine Augenbraue und stellte die Ohren steil auf. "Ich bin der Ankl�ger. Nach reiflichem Studium der Beweise bin ich zu der �berzeugung gekommen, da� keine formale Anklage n�tig ist. Diese Verhandlung wird nicht lange dauern. Und nebenbei, da sich niemand bereitgefunden hat, f�r Dek den Fuchstauren zu sprechen, ist auch kein Verteidiger vorhanden."
"Wie kann eine Verhandlung stattfinden, wenn weder Ankl�ger noch Verteidiger anwesend sind?" Khiray erhob sich. "Wie kann der Gerechtigkeit gedient werden, wenn niemand da ist, um f�r den Angeklagten zu sprechen?"
Galbren st�tzte sich auf die H�nde. "H�ndler Khiray, gem�� den Gesetzen des Armygan sind nur zwei Personen n�tig, um Recht zu sprechen. Ein Angeklagter -- den haben wir hier." Er wies auf Dek. "Und ein Richter, das bin ich. Dies ist eine kleine Stadt; wir haben weder formelle Ankl�ger noch Verteidiger. W�re ich im Zweifel dar�ber, wie das Urteil aussehen wird, w�rde ich solche anfordern und mit der Verhandlung einige Wochen warten. Aber dem ist nicht so. Es gibt keinen Zweifel an der Schuld des Angeklagten."
"Ich sehe nicht, welchem Zweck eine Verhandlung dient, wenn der Richter -- der gleichzeitig auch der Gouverneur und ein m�chtiger H�ndler ist -- bereits im Voraus das Urteil gef�llt hat." Khiray ging langsam auf das Podest zu.
"Diese Verhandlung soll lediglich die Beweise f�r die Schuld des Delinquenten f�r jedermann offensichtlich darlegen." Galbren l�chelte ein wenig. Man konnte seine Z�hne sehen. "Ich bin der Herr �ber diese Stadt, wie mein Vater vor mir. Ich diene Sookandil und dem Armygan loyal und ohne Zweifel. Ich bin der Gouverneur und der oberste Richter hier, und ich spreche Recht, wie es seit tausend Jahren Sitte ist. Es ist immer so gewesen, und es ist gut so.
Recht zu sprechen ist eine Frage der Erfahrung. Ich bin stets bem�ht, die Urteile so zu f�llen, da� niemand �ber Geb�hr darunter leidet, da� jeder die Gerechtigkeit erkennt, die in dem Urteil liegt, und da� jede Wiederholung der Tat vermieden wird. Mehr noch, ich schlichte jeden Streit, so da� es nach M�glichkeit gar nicht erst zu einem Verbrechen kommt.
Gew�hnlich braucht das Gesetz keinen Ankl�ger und keinen Verteidiger. Nur manchmal, wenn in einer Tat der Schuldige nicht sofort feststeht, oder wenn der T�ter aus anderen Motiven als Zorn, Habsucht oder Gier gehandelt hat, ben�tigen wir das Zwiegespr�ch von Anklage und Verteidigung, um jedes Detail, jedes Motiv, jeden Hinweis von allen Seiten her beleuchten zu k�nnen.
W�rden wir in jedem Falle einen Verteidiger ben�tigen, g�be es f�r viele niemals ein Urteil, weil ihre Tat so verabscheuungsw�rdig ist, da� niemand bereit w�re, diesen T�ter zu verteidigen.
In diesem Falle gibt es keine Fragen mehr. Ich werde in dieser Verhandlung darlegen, warum Dek schuldig ist, und das Urteil verk�nden. Das ist alles."
Khiray sch�ttelte den Kopf. "Nein. Das gen�gt nicht. Wenn nun der Angeklagte nicht schuldig ist, aber der Richter von seiner Schuld �berzeugt ist, wie soll dann Gerechtigkeit ge�bt werden?"
Galbren beugte sich vor. "Es ist vorgekommen, da� man versucht hat, einen Richter zu t�uschen, und hier, wo uns kein Magier zur Verf�gung steht, der L�ge und Wahrheit auseinanderhalten kann, mag das noch �fter der Fall sein als unten in der Hauptstadt. Aber eine vollkommene T�uschung ist schwer zu bewerkstelligen, und die volle H�rte des Gesetzes trifft die, die bei einem solchen Versuch ertappt werden.
Der einzige Grund, aus dem ich das Urteil bereits kenne, ist, da� ich auch die Beweise bereits eingesehen habe. Ich bin den Fuchstauren weder Feind noch Freund. Ich habe in diesem Fall kein Interesse au�er der Wahrheit. Und die Wahrheit liegt f�r jedermann offen zutage, der alle Details kennt. H�ndler Khiray, ich bin etwas �berrascht, da� Ihr versucht, diese Verhandlung zu st�ren. Es geht immerhin darum, den M�rder Eures Vaters zu verurteilen."
Khiray starrte Galbren eine Zeitlang an. Das Schweigen im Publikum umgab ihn wie eine feste Mauer, trennte ihn von allem: seinen Freunden, seiner Stadt, seiner Vergangenheit. Er hatte das Gef�hl, seine Gedanken seien Ochsen, die durch Sirup waten. Er wollte sprechen, die Stimme der Vernunft erklingen lassen. Aber die Stille erstickte ihn.
"Wenn niemand f�r Dek den Fuchstauren spricht", sagte er schlie�lich, "werde ich es tun. Ich bin der Verteidiger."
Galbren verzog seine Miene. F�r einen Moment lie� er sein ganzes Gebi� sehen und legte die Ohren flach an. "Ihr meint, Ihr wollt die Stelle des Ankl�gers �bernehmen."
"Des Verteidigers", wiederholte Khiray.
Der Gouverneur seufzte f�r jedermann h�rbar. "H�ndler Khiray, ich habe Euch schon einmal davor gewarnt, Euch zu eng mit Fremden einzulassen -- Fremde aus einer unbekannten Rasse, Fremde mit unbekannten Motiven. Ich kann meine Warnung nur wiederholen. Ihr werdet eines Tages einen Schritt zu weit gehen. F�r Euch mag es allt�glich sein, mit Fremden und sogar Men'schin umzugehen. Aber die guten B�rger hier teilen Eure Ansichten vielleicht nicht. Und mit Verlaub, die Tatsache, da� Ihr bereit seid, den M�rder Eures Vaters zu verteidigen, l��t mich an Eurer Loyalit�t gegen�ber dem Armygan zweifeln. Vielleicht seht Ihr es nicht so, aber in meinen Augen seid Ihr schon einen Schritt zu weit gegangen."
Khiray konnte nicht glauben, was Galbren da umschrieb. Hatte der Gouverneur ihn eben mit h�flichen Worten des Verrats bezichtigt?
"Ich bin der Verteidiger", murmelte er nur, w�hrend er auf das Podest stieg. "Ihr m�gt an meinen Motiven zweifeln, aber ich versuche nur der Gerechtigkeit zu dienen. Wie Ihr auch." Wie Galbren? Diente Galbren wirklich der Gerechtigkeit, wenn er das Urteil �ber einen Angeklagten schon im Voraus f�llte? Es mochte im Einklang mit den Gesetzen sein, aber vielleicht waren die Gesetze nicht immer im Sinne der Gerechtigkeit.
Zum ersten Mal in seinem Leben fiel Khiray auf, welche Macht die Richter besa�en. Sie konnten das Gesetz nach eigenem Gutd�nken auslegen und interpretieren. Sie waren niemandem verpflichtet au�er dem Drunf�rsten im fernen Drun'kaal, der sich nicht um jedes Urteil im Armygan k�mmern konnte, und legten niemandem Rechenschaft ab. Wenn der Richter zugleich auch der Gouverneur war sowie H�ndler mit ganz eigenen Interessen, die mit Gerechtigkeit nicht viel zu tun hatten...
Viele Dinge im Armygan schienen verbesserungsbed�rftig. Aber dies war weder der Platz noch die Zeit, solche Dinge zur Sprache zu bringen. Die Menge murmelte erbost. Khiray wurde gewahr, da� er sich hier vor der ganzen Stadt blo�stellte. Wie immer dieser Tag enden mochte, gute Gesch�fte w�rde er in Sookandil niemals mehr machen.
"So sei es", sagte Galbren. "Ihr m�gt f�r den Fuchstauren sprechen." Langsam sch�ttelte er den Kopf. "Ich verstehe nicht, was Euch dazu bewegt, aber Euer Wille sei mir Befehl." Er gab einem der Gardisten einen Wink, der daraufhin wieder in die Kammer unter dem Podest eilte. "Wenn ein Verteidiger vorhanden ist, sollte auch ein Ankl�ger pr�sent sein. Ich hoffe, Euren Vorstellungen von einem fairen Gericht sind damit Gen�ge getan. Oder sollte ich noch ein Dutzend Felliger herbitten, die �ber Schuld und Unschuld des Angeklagten entscheiden?"
Galbrens Sarkasmus tropfte von Khiray ab. Der junge Fuchs wu�te, da� er das Richtige tat. Es w�rde ihn seine Gesch�fte kosten... seinen Ruf... vielleicht sein Erbe. Aber es war das einzige, was ihm zu tun blieb. Er mu�te das R�tsel l�sen, das Puzzle richtig zusammensetzen, oder er w�rde nie wieder mit sich in Frieden leben k�nnen.
Eine verh�llte Gestalt erschien am Rand des Podestes.
Es war der Berater des Gouverneurs, das Wurm-Wesen. Khiray schnappte nach Luft. Wie konnte die magische Kreatur es wagen, hier erneut zu erscheinen, inmitten Tausender Felliger? Er brauchte nur einen Schritt zu tun, dem Wesen die Kapuze herunterziehen, und f�r alle w�rde offenbar werden, mit was sich Galbren eingelassen hatte.
Aber er kam nicht einmal dazu, seine Hand auszustrecken. Der Berater schlug von selbst seine Kapuze zur�ck und offenbarte das wei�e, haarlose Gesicht eines Men'schin. Da waren keine W�rmer, Maden oder Egel. Der Berater l�chelte ihn freundlich an.
Durch die Menge ging ein Raunen. Men'schin lie�en sich nie in Sookandil blicken. Drun'kaal und die anderen K�stenst�dte wurden gelegentlich von Men'schin-Schiffen angefahren, die Vorr�te auff�llten oder Reparaturen vornehmen lie�en, aber so weit ins Binnenland kamen sie nicht. Und der Handel mit den Bergst�dten wurde allein von Felligen unternommen; Men'schin-H�ndler machten sich die M�he nicht. Die meisten der Anwesenden in der Stadthalle hatten wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben noch keinen Men'schin gesehen.
Khiray runzelte die Stirn und ignorierte die Unruhe. War dies wirklich dasselbe Wesen, das ihm in jener Nacht drau�en vor der Stadt begegnet war? War umgekehrt die Wurm-Kreatur tats�chlich Galbrens Berater gewesen? Daf�r hatte er keinen Beleg, es war seine eigene Vermutung gewesen. Das Wurmding hatte sich nie als Galbrens Berater ausgegeben. Mi�trauisch be�ugte der Fuchs den Men'schin.
Hatte das Wurmwesen ihn von Anfang an genarrt?
Galbren klatschte abermals in die H�nde. "Mein Berater, Alfon Sanass. Die meisten von euch haben bereits von ihm geh�rt, aber die wenigsten d�rften ihn schon kennengelernt haben." Alfon verneigte sich. Er war noch eine Handbreit gr��er als Galbren selbst und schien recht d�nn zu sein -- die Robe verbarg seine tats�chliche Statur.
"Viele von euch werden sich wundern, weshalb ein Men'schin als mein Berater fungiert, zumal ich mich wieder und wieder gegen die Zunahme der Zahl von Fremden in unserem Land gewendet habe", fuhr Galbren fort. "Nun, Alfon Sanass kam vor etwa einem halben Jahr zu mir und bat um eine Unterredung. In seiner Heimatstadt, Hanmur, hatte er die Position eines Kanzlers inne und war als solcher in zahlreiche Geheimnisse seiner Regierung eingeweiht."
Der Men'schin nickte und deutete eine Verbeugung an. "Ich hatte Zugang zu allen Pl�nen, allen Vorhaben des Rates von Hanmur. Ohne nun jemanden beunruhigen zu wollen -- es gibt Gruppen unter den Menschen, die von der Anwesenheit der Felligen im Armygan nicht allzu begeistert sind." Nat�rlich brach sofort unruhiges Gemurmel unter den Zuh�rern aus. "Der Armygan ist ein reiches Land, die Natur voller Sch�tze. Und die allgemeine Meinung ist, da� das Land den Menschen geh�rt, nicht den Felligen." Das Gemurmel wurde so laut, da� man den Berater kaum mehr verstehen konnte. "Nicht, da� irgendwelche Pl�ne auf Krieg hindeuten, schlie�lich gibt es kaum Kontakt zwischen beiden V�lkern. Aber der Rat von Hanmur hat neue Siedlungspl�ne beschlossen, die fast das gesamte Land zwischen Sookandil und den Menschen-Gebieten umfassen."
Khiray war sprachlos. Waren das Erfindungen, L�gen des Beraters, um die Felligen zu verwirren? Oder entsprach es wom�glich der Wahrheit?
Ein Spiel, das er nicht verstand... Die �u�erungen des Wurmwesens schienen in diesem Zusammenhang Sinn zu ergeben. Ein Spiel der Politik, der Geheimnisse, des Verrats und der Spionage. Ein Spiel, das fr�her oder sp�ter auf eine direkte Konfrontation zwischen Men'schin und Felligen hinauslief.
Der blo�e Gedanke daran war mehr als beunruhigend. Hinter den Men'schin stand eine jahrtausendelange Erfahrung im Krieg und ein schier unbegrenztes Nachschubpotential. Die Felligen waren �ber den ganzen Armygan verstreut, der nur d�nn besiedelt war, Individualisten, denen der Gedanke an Armeen und Gener�le weitgehend fremd war. Der Armygan besa� kein regul�res Heer, und es bestand keinerlei Verbindung zur fernen Heimat, aus der die Felligen vor mehr als tausend Jahren gekommen waren.
Krieg war schlecht genug. Aber wenn gar keine Aussicht bestand, ihn zu gewinnen... Was sollte aus den Felligen werden, wenn die Men'schin wirklich den Armygan als ihr Eigentum beanspruchten? Heute, morgen, in hundert oder tausend Jahren?
Galbren begann, auf den Tisch zu klopfen, bis der L�rm erstarb. "Bitte, la�t Alfon ausreden."
Der Berater wandte sich wieder an die Menge. "Ich bin immer ein Mann des Friedens gewesen. Ich glaube, da� die Anspr�che des Rates �berzogen und ungerechtfertigt sind. Die bestehenden Grenzen sollten nicht ver�ndert werden, auch wenn die Felligen noch keinen Gebrauch von ihrem Land zwischen hier und den Menschen-Gebieten gemacht haben. Fr�her oder sp�ter mu� ein Vorgehen, wie der Rat es jetzt propagiert, zum direkten Konflikt f�hren, und daf�r besteht keine Notwendigkeit. Daher habe ich Sookandil als erste Stadt diesseits der Grenze aufgesucht, um die Felligen vor diesen Pl�nen zu warnen."
"Wir sind Euch �u�erst dankbar daf�r, Alfon", erwiderte Galbren. "Pers�nlich habe ich derartige Pl�ne schon seit langem erwartet. Der Armygan ist schwach geworden. Er hat seit langem keine St�rke mehr gezeigt, keine Entschlossenheit, keine Durchsetzungskraft. Unten in der Hauptstadt sitzen die B�rokraten, die unsere Steuern in Empfang nehmen und daf�r nichts tun. Eine aristokratische Elite beherrscht unser Land, die seit Jahrhunderten dick, satt und verfressen ist und nach mehr, mehr, mehr giert. Wie viele Monate gehen ins Land, ehe auch nur eine unserer Anfragen aus der Hauptstadt beantwortet wird? Wie lange dauert es heute, bis eine Stra�e gebaut, eine Siedlung gegr�ndet wird, bis man gegen impertinente Fremde vorgeht, die sich in unser Vertrauen schleichen und B�rger heimt�ckisch ermorden?" Galbrens Blick fiel auf Dek.
Aber Dek reagierte nicht. Er hielt die Augen halb geschlossen und den Kopf gesenkt, als sei es ihm egal, was mit ihm geschah.
"Drun'kaal ist schwach und verweichlicht geworden!" rief Galbren in die Menge. "Der Drunf�rst hat sein Recht auf Herrschaft schon vor Jahrhunderten verspielt! Wir, die wir an der Grenze im wilden Land leben, m�ssen uns von Tag zu Tag neu beweisen, unsere St�rke, unseren Mut, unsere F�higkeiten. Wir m�ssen uns den Herausforderungen der Wildnis stellen. Dort unten in der Hauptstadt regieren Dummk�pfe und Blinde! Eines Tages wird jemand kommen, der den Drunf�rsten in seine Schranken weist, und es sollte bald geschehen, denn die Men'schin schlafen nicht! Nur, wenn wir ihnen unsere ganze Entschlossenheit entgegenstellen, werden sie von ihren machtgierigen Pl�nen absehen."
Eines Tages? Jemand? Khiray hatte das dumpfe Gef�hl, da� Galbren sich selbst meinte.
Aber das konnte nicht -- durfte nicht sein! Was Galbren hier andeutete, war nichts anderes als Verrat am Drunf�rsten. Wenn der Gouverneur sich von Drun'kaal lossagte und die Zahlung von Steuern einstellte, w�rde der Drunf�rst ihm seine Truppen auf den Hals hetzen. Kooradah mochte keine Armee besitzen, wie die Men'schin es verstanden, aber seine Garden waren zahlreich und effektiv.
Oder meinte Galbren mehr als nur eine Trennung vom Armygan? Meinte er einen Umsturz, eine Revolution, eine Machtergreifung? Unm�glich. Khiray war sich sicher, da� Galbren nie genug Truppen daf�r auftreiben konnte.
Wie auch immer, Verrat war Verrat, auch wenn Galbren seine Pl�ne hinter einer Maske aus Konjunktiven verbarg. Der Gouverneur war ein geschickter Rhetoriker.
"Wir sind nicht hier, um die Zukunft des Armygan zu beklagen", fuhr Galbren fort, "sondern um Recht zu sprechen und ein Urteil zu f�llen. Ein Urteil �ber diesen Fuchstauren namens Dek." Er wies auf den Angeklagten. Die Menge grollte. "Da B�rger und H�ndler Khiray sich freundlicherweise bereiterkl�rt hat, den Verteidiger zu stellen" -- sein Tonfall lie� keinen Zweifel daran, wie er es meinte -- "wird Alfon Sanass die Rolle des Ankl�gers spielen. Er ist gr�ndlich in alle Details dieses Falles eingeweiht. So m�ge denn diese Verhandlung in jedem Punkte dem Gesetz entsprechen." Er nickte seinem Berater zu.
Alfon Sanass nahm einen Platz neben Khiray ein. Er l�chelte. Khiray hatte nie zuvor gedacht, da� ein Men'schin-L�cheln -- so ganz bar aller Rei�z�hne -- drohend wirken k�nnte, aber diesmal war es so.
Der junge Fuchs fragte sich, ob er gegen diesen Berater -- gleich, ob es nur eine neue Maske des Wurmwesens war oder wirklich ein Men'schin -- �berhaupt eine Chance hatte.
Die Behauptung, die Beweise seien �berw�ltigend, war noch eine Untertreibung. Alfon Sanass verstand es, allen Zeugen Aussagen zu entlocken, die gegen Dek sprachen, und es gab viele davon.
Die ersten Zeugen waren Besucher der Bar, in der Dek fast eine Schl�gerei angezettelt hatte. Ein Hirsch, ein Wolf und eine Ratte sagten �bereinstimmend aus, da� Dek Khiray bedroht hatte, obgleich dieser die Zeche f�r die Fuchstauren begleichen wollte. Der Barkeeper erging sich in einer langatmigen Litanei �ber das Benehmen von Fremden.
"Er hat mich bedroht", versuchte Khiray richtigzustellen, "nicht meinen Vater. Wenn dieses ungl�ckliche Ereignis �berhaupt ein Beweis f�r irgend etwas sein sollte, dann m��te ich das Opfer sein, oder?"
Alfon verschr�nkte die Arme. "Vielleicht. Was aber jedem Anwesenden v�llig klar geworden ist, ist, da� der Angeklagte betrunken nicht mehr f�hig ist, die Kontrolle �ber sich zu bewahren. Und da� er dem Charakter nach durchaus f�hig ist, einen Mord zu begehen."
Dagegen konnte Khiray nichts einwenden. Es war eine unangenehme Situation gewesen. Und wenn Dek wirklich mit diesem Stuhlbein zugeschlagen h�tte...
Die n�chsten Aufgerufenen waren ein junges Kaninchenpaar und ein paar Fellige, an die Khiray sich nicht mehr erinnern konnte. Sie waren Zeugen gewesen, als Dek sich am Stand der Fuchstauren auf Khiray st�rzen wollte.
"Er hat gerufen: 'Ich t�te ihn!', ganz sicher", sagte das m�nnliche Kaninchen. "Wir sind sofort untergetaucht. Er hatte eine Waffe!"
Alfon blickte den Zeugen pr�fend an. "K�nnte er es als Witz gemeint haben, unter Freunden?"
Das Kaninchen warf einen furchtsamen Seitenblick auf Dek, der sich jedoch seit dem Beginn der Verhandlung nicht ger�hrt hatte. "Nein. Er wollte den Fuchs ermorden, ganz sicher. Die anderen Fremden mu�ten ihn festhalten, sonst h�tte er seinen Sch�del gespalten." Er runzelte die Nase. "Ich verstehe nicht... warum ist der Fuchs sein Verteidiger?"
Der Men'schin sch�ttelte den Kopf. "Bitte beantworte nur meine Fragen."
Khiray st�hnte innerlich. Auch an dieser Episode konnte es keinen Zweifel geben, und auch sie lie� an Dek kein gutes Haar. Nat�rlich waren sich die Zeugen auch hier v�llig einig.
"Einen Moment", sagte er. "Ich h�tte dazu noch eine Szene beizutragen."
"Bitte", sagte Alfon reserviert.
Khiray erz�hlte, was sich an dem Abend ereignet hatte, als er Dek und Saljin beim �ben mit den Dekka'shin zugesehen hatte. Als er an der Stelle ankam, wie Dek ihn angegriffen hatte, bemerkte er, wie mehr und mehr Fellige im Saal die Augenbrauen hoben.
"Aber darum geht es nicht", sagte er hastig. "Ich meine, er h�tte mich bei der Gelegenheit t�ten k�nnen, fast ohne Zeugen. Wenn er es gewollt h�tte. Aber er hat es nicht getan. In Wahrheit w�rde er mir nichts zuleide tun, er ist nur etwas aufbrausend."
"Aha", sagte Alfon, und Khiray wu�te, da� seine Schilderung das Gegenteil bewirkt hatte. Die Felligen und der Men'schin nahmen Deks Verhalten nicht als Beweis, da� der Fuchstaur seine Aggressivit�t nur vorschob, sondern daf�r, da� er einen besonderen Ha� auf Khiray pflegte.
Die n�chste Zeugin war eine �ltere Ratte. Sie hatte einen billigen Schnapsladen und eine kleine Brennerei.
"Ja, der Fuchstaur hat bei mir gekauft." Sie schn�ffelte ein wenig. "Hat immer viel Wesens um die Preise gemacht. Dabei bin ich wirklich preiswert." Sie begann damit, aufzuz�hlen, wie billig ihr Schnaps sei.
"Mehr ist der Rachenbrenner auch nicht wert", rief jemand aus dem Publikum, ehe Alfon den Mund �ffnen konnte, und die Ratte schwieg beleidigt.
"Hat der Angeklagte auch in der Mordnacht Schnaps gekauft?" wollte der Ankl�ger wissen.
Die Ratte legte die Ohren an. "Ja. Hatte schon einen sitzen, mu� ich sagen." Das war das erste, was Khiray aus dieser Nacht h�rte. Bislang hatte er nur gewu�t, da� Dek verschwunden gewesen war. "Hat eine gro�e Flasche mitgenommen."
"Er war also schon betrunken."
"Das hab' ich doch gesagt."
"Und er hatte wohl nicht vor, mit dem Trinken aufzuh�ren?"
Die Ratte schielte Alfon an. "Na h�r mal, Haarloser! Wenn man abends noch hingeht und 'ne Flasche kauft, will mal wohl nich' die Nacht �ber Abstinenz �ben!" Sie benutzte das Wort 'Abstinenz' wie eine Beleidigung. Khiray fragte sich, wo sie es �berhaupt aufgeschnappt haben mochte.
Alfon setzte sich. "Wir wissen also nun, da� der Angeklagte in der Mordnacht betrunken war und vermutlich noch mehr getrunken hat. Wir wissen auch, da� er unter Alkoholeinflu� gewaltt�tig wird. Und da� er wegen eines mysteri�sen Waffengesch�fts einen unbez�hmbaren Ha� auf den H�ndler Khiray hatte." Er lie� seine Worte gr�ndlich einwirken. "H�ndler Khiray -- oder sollte ich sagen, Verteidiger Khiray --, w�rdet Ihr bitte dieses Gesch�ft n�her schildern?"
Widerwillig beschrieb Khiray, worum es eigentlich ging. Er lie� auch die Episoden nicht aus, da� er den Fuchstauren einen Anteil am Profit angeboten hatte, und da� die Waffen schon an Galbren verkauft waren. Irgendwoher w�rde Alfon sicher einen Zeugen zaubern k�nnen, der diese Details erg�nzte, falls er selbst sie verschwieg. Aber er war sich dessen bewu�t, da� er Dek immer schlechter und schlechter aussehen lie�.
Alfon vernahm noch Garden, Passanten, H�ndler, kurz alle, die etwas �ber Dek zu sagen wu�ten. Ein Gardist erkl�rte, wo er die gestohlenen Waffen im Wald gefunden hatte, notd�rftig versteckt. Khiray h�rte nur mit halbem Ohr zu. Ja, es war wahr; Dek war aufbrausend und st�rrisch, ja, er hatte ihn bedroht, aber warum dann der Mord an Saswin?
Andererseits -- war Dek als T�ter wirklich undenkbar? Khiray schauderte. Konnten seine Gef�hle ihn so sehr tr�gen?
Alfons letzter Zeuge war der Arzt, der Saswins Tod best�tigt hatte, ein alter Dachs mit Brille und eisgrauem Fell. Die typische Fellzeichnung war fast v�llig verbla�t, und die Stimme des Doktors zitterte etwas. Khiray erinnerte sich: Doktor Pargenn. Der Dachs hatte auch ihn einmal behandelt. Er mochte alt sein, aber seine Integrit�t und F�higkeit war war nicht in Frage zu stellen.
"Ich wei� nicht, ob �berhaupt ein Zweifel bez�glich der Mordwaffe herrscht", sagte der Dachs. "Immerhin steckte sie ja noch in Saswins R�cken. Aber da man mich schon mal fragt, ja, es war dieses Messer."
Alfon legte den Dolch aus Trollstahl beiseite, den er Pargenn gezeigt hatte. "Gibt es etwas Besonderes zu bemerken?"
Pargenn rieb sich das Kinn. "Oh, eigentlich nicht. Das hei�t, es ist ungew�hnlich, aber..."
"Was ist ungew�hnlich, Doktor?"
"Die Waffe wurde von hinten in Saswins R�cken gesto�en. Sie durchtrennte die Wirbels�ule. Normalerweise werden Leute von vorne ermordet, wenn die wenigen Morde in Sookandil w�hrend der Zeit, in der ich hier Arzt war, einen Hinweis bieten. Meist sind Morde das Resultat eines au�er Kontrolle geratenen Disputs, eines heftigen Streits. Jemanden von hinten zu erstechen deutet auf Berechnung hin, was eher ungew�hnlich ist. Selbst die R�uber, die �ber die Jahre hinweg die W�lder unsicher gemacht haben, haben ihre Opfer nur selten von hinten aus dem Verborgenen heraus ermordet. Ein ertappter Dieb flieht eher, als da� er sich jemandem stellt.
Ich glaube mich zu erinnern, da� wir nur zwei F�lle hatten... aber ich will nicht abschweifen, und letztlich ist auch jeder Mordfall anders. Jedenfalls scheint der M�rder ziemlich heimt�ckisch und kaltbl�tig gehandelt zu haben.
Andererseits wurde der Sto� mit gro�er Gewalt gef�hrt, was wieder auf eine Affekthandlung schlie�en l��t, auf starken Ha� oder durchgehendes Temperament." Der Arzt sch�ttelte den Kopf. "Man braucht wirklich Kraft, um eine Wirbels�ule zu zertrennen."
"Gen�gt ein heftiger Sto� daf�r? Ich meine, k�nnte eine schw�chere Person jemanden auf diese Weise ermorden?"
Der Doktor blinzelte. "Die Klinge w�rde am Knochen abgleiten. Dieses Material..."
Der Men'schin unterbrach ihn. "Also ein schw�cherer Felliger k�nnte einen Mord wie diesen gar nicht begehen? Sagen wir, eine Ratte wie diese...?" Er wies auf Delley.
"Hey!" protestierte die Ratte. "La� mich aus dem Spiel!"
"Unm�glich", beruhigte ihn Pargenn. "Nicht einmal ein anderer Fuchs k�nnte diese Gewalt aufbringen. Na ja, vielleicht ein Holzf�ller, aber welcher Fuchs wird heute noch Holzf�ller...? Ein Wolf, ein starker Wolf. Oder ein B�r, ganz sicher. Ein Hirsch, m�glicherweise, aber Hirsche neigen selten zu Gewalt. Nat�rlich ein Leopard, aber ich habe hier oben erst einen oder zwei gesehen."
"Ein Fuchstaur?"
Pargenn hob die Schultern. "Ich habe geh�rt, da� sie recht stark sein sollen."
"Das sind sie." Alfon warf das Stuhlbein auf den Tisch, mit dem Dek Khiray in der Kneipe bedroht hatte.
Die Geste verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Menge atmete h�rbar.
Der Doktor verlie� das Podest leicht hinkend und setzte sich zwischen zwei Katzen in der ersten Stuhlreihe, die sich noch ein wenig mehr zusammendr�ngten. Alfon starrte mehrere Minuten lang nur �ber die anwesenden Felligen hinweg. Dann sagte er: "Ich denke, wir haben genug geh�rt."
"Das haben wir nicht", sagte Khiray entschlossen. "Wir haben nur geh�rt, was Dek belastet. Wir haben keine Zeugen geh�rt, die die Tat selbst beobachtet haben, und wir haben nichts von denen geh�rt, die Dek gut genug kennen, um ihn wirklich einsch�tzen zu k�nnen."
"Ich glaube kaum, da� wir das m�ssen", mischte sich Galbren ein. "Ich habe keine Zweifel an der Schuld des Angeklagten."
"Fuchstauren sind nicht so!" beharrte Khiray. "Sie haben einen Ehrenkodex. Dek wollte sich einen Namen verdienen. Ein Mord h�tte seinen Stamm f�r immer in Schande gebracht. Niemand vergi�t die Grundregeln seiner Gesellschaft, nicht einmal betrunken."
"Interessant", warf Alfon ein. "Wie lange kennt Ihr die Fuchstauren schon?"
Khiray hob verzweifelt die H�nde. "Ich kenne sie gut genug..."
"Wie lange?" donnerte der Men'schin.
"Ein paar Tage", fl�sterte Khiray und wu�te, da� er Deks Todesurteil unterschrieb.
Verbl�fftes Schweigen war die Folge. Dann begann jemand zu lachen, und immer mehr Fellige stimmten ein. Das Gel�chter erf�llte die Halle. Es war kein heiteres Lachen, sondern bitter und zynisch, h�hnisch, abwertend. Ein paar Tage! Der Welpe glaubt, er k�nne ein ganzes Volk nach ein paar Tagen beurteilen!
Khiray wandte sich an Dek. "Warum sagst du nichts? Erkl�re es ihnen! Du wei�t es doch am besten! Sag irgend etwas! Sag, da� du es nicht getan hast!"
Der Fuchstaur hob den Kopf und starrte in das wiehernde Publikum. "Ich habe es nicht getan", sagte er fest.
Das Lachen wurde zum Orkan. Es �bert�nte Galbrens Bitte um Ruhe, Alfons Klopfen, vereinzelte Stimmen. Die versammelte Menge war zu einem tausendk�pfigen, lachenden Ungeheuer geworden.
Khiray starrte auf Dek, dann auf Saljin, dann wieder auf Dek. Er merkte kaum, da� ihm Tr�nen �ber die Wangen liefen. Er hatte verloren. Nichts, was er jetzt noch sagen konnte, w�rde Galbren oder Alfon oder irgend jemanden in der Stadt umstimmen.
Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis das Lachen verstummte und zu erwartungsvollem Schweigen wurde.
"Er hat recht", durchbrach eine Stimme die Stille. Pallys hatte sich erhoben. "Der Kodex der Fuchstauren ist streng. Dek h�tte ihn nicht brechen k�nnen."
Alfon musterte das �ltliche Kaninchen. "Und wie lange kennt Ihr die Fuchstauren? Zwei Wochen?"
"Viele Jahre", brummte Pallys, ehe die Menge wieder loslachen konnte. "Ich habe bei ihnen gelebt."
"Interessant", bemerkte Galbren. "Ich wei�, da� Ihr schon meinen Vater unterrichtet habt. Ihr habt die Stadt seit einer Generation nicht verlassen. Entweder seid Ihr �lter, als es den Anschein hat, oder Ihr seid in Eurer Jugend ziemlich viel herumgekommen."
"Beides", stellte Pallys fest. "Galbren, du warst schon als Welpe ziemlich aufs�ssig und impertinent. Du willst doch nicht etwa andeuten, da� ich l�ge?"
Ein Raunen lief durch den Saal. Pallys war ein bekannter und geachteter B�rger.
Alfon klatschte in die H�nde. "Das will er keineswegs. Ich m�chte jedoch einwenden, da� auch eine noch so gute Kenntnis eines Volkes nicht davor sch�tzt, ein einzelnes Mitglied dieser Gemeinschaft, ein schwarzes Schaf, falsch einzusch�tzen. Ich nehme an, da� die Fuchstauren als Volk durchaus ehrenwerte Leute sind. Aber es geht hier nicht um ein Urteil �ber das ganze Volk, sondern allein um diese Person, diesen Dek. �ber ihn sprechen wir Recht, und ich habe bislang noch keine Stimme geh�rt, die ihn entlastet!"
"Augenblick!" rief Khiray. "Onkel Farlin, w�rdest du bitte herkommen?"
Farlin m�hte sich auf das Podest. Die roten Roben schlotterten um seinen K�rper; Farlin war f�r einen Fuchs gro�, und die Kleidung war wohl f�r einen Wolf gemacht.
"Onkel Farlin, du warst in der Mordnacht in Saswins N�he." Es bereitete ihm �belkeit, so an seinen Vater zu denken. Aber es war das einzige, winzige Indiz, das er noch zu Deks Entlastung vorbringen konnte. "Hast du Dek gesehen?"
"Nein. Ich habe niemanden gesehen."
"Du wurdest niedergeschlagen, wahrscheinlich von dem T�ter."
Farlin nickte. "Aber er kam von hinten."
"Er kam von hinten. Aber du hast ihn auch nicht geh�rt?"
"Nein."
"Die Planken auf unserem Schiff knarren leicht. Ein Fuchstaur ist nicht nur stark, er ist auch schwer. Um so leichter h�ttest du ihn h�ren m�ssen."
Alfon sch�ttelte den Kopf. "Nicht unbedingt."
Khiray wandte sich ihm zu. "Wieso nicht?"
"Fuchstauren sind Vierbeiner. Mit vier Beinen verteilt sich das Gewicht besser. Au�erdem geht man als Vierbeiner anders. Man kann mit einer Pfote den Boden ertasten und trotzdem perfekt im Gleichgewicht bleiben, da man noch auf drei Beinen steht. Als Zweibeiner ist das nicht m�glich. Der Fuchstaur kann viel besser auf knarrende Planken achten und sie umgehen als unsereins."
Entsetzt starrte Khiray auf Deks Pfoten. Alfon hatte recht. Vier Beine...
Sprach denn jedes Argument, das er hatte, gegen Dek?
Irrte er sich? War Dek doch schuldig? Der nagende Zweifel lie� sich nicht mehr aus seinen Gedanken vertreiben. Stand er hier und ruinierte seine Karriere als H�ndler, indem er den M�rder seines Vaters vor der gerechten Strafe zu bewahren suchte? Lie� er sich von seinen Gef�hlen f�r Saljin blenden?
"Ich denke, alle Karten sind ausgespielt." Galbren verschr�nkte die Finger. "Jeder Anwesende kennt nun alle Fakten. Das einzige, wof�r wir keine Zeugen haben, ist der Mord selbst. Wir haben hier keinen Magier, der uns Gewi�heit dar�ber bringen k�nnte, aber brauchen wir einen solchen? Ich werde sagen, was sich in der betreffenden Nacht abgespielt hat.
Dek geriet mit H�ndler Khiray in Streit. H�ndler Khiray wollte den Fuchstauren einen Anteil am Profit einr�umen, weil er das Gef�hl hatte, die Fremden beim Kauf der Waffen �bervorteilt zu haben. Dek f�hlte sich beleidigt. Er hegte schon seit dem eigentlichen Handel einen tiefen Ha� auf Khiray. Er versuchte, ihn zu t�ten, wurde aber daran gehindert. W�hrend H�ndler Khiray abwesend war, betrank sich Dek.
Betrunken schlich er sich auf das Schiff des Opfers. Er ermordete es -- in seinem Zustand konnte er entweder nicht zwischen Khiray und Saswin unterscheiden, oder er beging den Mord an Saswin sozusagen stellvertretend --, nahm die Waffen an sich und versteckte diese und sich selbst im Wald. Erst am folgenden Tag kehrte Dek zur�ck und wurde festgenommen.
Das ist alles. Der Fall ist bei weitem nicht so kompliziert, wie Verteidiger Khiray zu denken scheint."
Galbren erhob sich. "Hat sonst irgend jemand Zweifel daran, wie die Gerechtigkeit aussehen mu�?"
Schweigen war die Antwort. Dann rief jemand: "Schuldig!" Ein zweiter �bernahm den Ruf, dann ein dritter, bis der ganze Saal immer wieder skandierte: "Schuldig! Schuldig!"
Alfon nickte beif�llig. Khiray lie� den Kopf h�ngen. Nur Dek schien sich nicht um die Rufe zu k�mmern. Er verschr�nkte die Arme, so gut die Ketten es ihm erlaubten, und blickte starr �ber die Menge.
Galbren klatschte in die H�nde. "Die Verhandlung ist beendet. Das Urteil lautet auf Tod."
War Dek schuldig? Khiray konnte Saljin nicht in die Augen sehen, w�hrend sie den Garden ans Tageslicht folgten. Nicht nur, weil er sie entt�uscht hatte -- was h�tte er tun sollen? -- vielmehr, weil er nicht mehr an Deks Unschuld glaubte. Alfon und Galbren hatten die meisten Puzzlest�cke �berzeugend genug zusammengesetzt. Was blieb noch?
Da war das Wurm-Wesen. Es pa�te �berhaupt nicht ins Bild, aber es schien auch nichts mit Saswins Tod zu tun zu haben. Es mochte gut und gern Zufall gewesen sein, da� es gerade in der Mordnacht erschienen war. Khiray hatte es in der Verhandlung nicht erw�hnt, und auch seine Freunde wu�ten nichts davon -- andererseits, was h�tte es gebracht, davon zu sprechen? Mittlerweile hatte Khiray den Eindruck, getr�umt zu haben.
Und da war der Kodex der Fuchstauren. Deks Ehre. Verzweifelt sch�ttelte Khiray den Kopf. Das war nicht genug. Das konnte niemanden mehr �berzeugen. Nicht einmal ihn selbst.
Nat�rlich, vielleicht hatte sich Dek betrunken und war in den Wald gegangen, um niemanden sehen zu lassen, wie er vor sich hin torkelte. Mikhoi hatte wenig Zweifel daran gelassen, da� er nichts vom Betrinken hielt. Dek wollte sich vor ihm nicht erniedrigen. Dann, als Dek vor Schnaps besinnungslos geworden war, hatte ihm jemand den Dolch gestohlen, war auf das Schiff geschlichen, hatte Saswin ermordet und die Waffen gestohlen und diese schlie�lich im Wald versteckt.
Aber wer h�tte das tun sollen? Und warum? Saswin hatte keinen Todfeind, also schied Rache aus. Ein Streit? Nein, der T�ter hatte Saswin heimt�ckisch von hinten erstochen. Gier nach den Waffen? Kaum, denn der Trollstahl war zu auff�llig, um ihn in Sookandil benutzen oder weiterverkaufen zu k�nnen. Zudem waren die Waffen nachl�ssig versteckt worden, als h�tte man sie finden sollen... oder als sei derjenige, der sie versteckt hatte, betrunken gewesen.
Wenn Dek nicht der T�ter war, dann konnte es nur jemand gewesen sein, der dem Fuchstauren die Tat anh�ngen wollte.
Es war hoffnungslos. Er irrte sich. Dek war schuldig. Es gab keinen mysteri�sen Unbekannten. Es gab...
...nur das Wurm-Wesen.
Die Menge dr�ngte den Ausg�ngen entgegen. Niemand wollte sich die Vollstreckung des Urteils entgehen lassen. �berall murmelten Stimmen.
"Kleines Fellwesen..."
Khiray h�rte die Stimme in seiner Erinnerung.
"Kleines Fellwesen..."
Es war keine Erinnerung. Khiray blickte auf und sah in das Gesicht des Beraters.
"Du hast gut gesprochen", sagte Alfon Sanass. "Nicht gut genug, f�rchte ich, aber den Umst�nden entsprechend." Er l�chelte. Langsam �ffnete sich sein Mund.
Da war keine Zunge...
F�r einen Augenblick erhaschte Khiray undeutlich die sich windende Form eines Egels, der sich hinter den Z�hnen zusammenrollte. Aber ehe der Fuchs jemanden darauf aufmerksam machen konnte, hatte sich der Berater umgedreht und durch die Reihen der Garden gedr�ngt.
Er war tats�chlich das Wurm-Wesen. Wie auch immer er zu der neuen H�lle gelangt sein mochte, er war es. Und er war ein Teil des Puzzles, ein Teil, das nirgendwohin geh�rte.
"Beruhige dich", sagte Saljin. Die nachdr�ngende Menge hielt von ihr immer noch einen respektvollen Abstand. "Was ist passiert?"
Khiray bemerkte, da� ihm das Entsetzen auf dem Gesicht geschrieben stehen mu�te. "Ich habe etwas gesehen... es ist vielleicht wichtig, aber ich bin mir nicht sicher..."
"Erz�hle es mir sp�ter." Beunruhigt sah die Fuchstaurin sich um.
Sie gelangten durch das Turm-Tor ins Freie. Die Menge nahm jedoch nicht ab. All die Hunderte, wenn nicht Tausende, die drau�en warten mu�ten, str�mten um die Garden herum, vereinigten sich mit der Masse, die von drinnen kam, zu einem m�chtigen Zug, der immer wieder das Wort "Schuldig!" im Chor rief.
Khiray hatte Delley und Pallys aus den Augen verloren. Wahrscheinlich hatten sich beide aus dem Staub gemacht.
Vielleicht taten sie recht damit. Es gab nichts mehr zu tun. Dek war verloren -- Galbren w�rde keine Gnade gew�hren. Saljin mu�te das wissen, aber sie benahm sich nicht wie jemand, dessen Bruder in wenigen Minuten am Galgen baumeln w�rde.
Dann sah Khiray, weshalb.
Der Zug der Garden mit dem Gefangenen in ihrer Mitte war ins Stocken geraten, ohne da� sie den Versammlungsplatz und den Galgen erreicht h�tten. Die Fuchstauren versperrten den Weg.
Mikhoi, Halann, Aryfaa, Dokmaris, alle in volle R�stungen gekleidet und bewaffnet. Sie blockierten die Stra�e, zu allem entschlossen.
Khiray mogelte sich an den verunsicherten Garden vorbei. Saljin war dicht hinter ihm.
"Gebt Dek heraus", forderte Mikhoi. "Schuldig oder nicht, wir sind es, die �ber ihn urteilen werden."
"Ich f�rchte, das ist unm�glich", erwiderte Galbren. "Die Tat wurde in unserer Stadt begangen und mu� nach unseren Gesetzen bestraft werden."
"Das k�nnen wir nicht zulassen", stellte Dokmaris fest. Er schwang das Dekka'shin. "Vermeidet ein Blutvergie�en. Ihr habt keine gut ausgebildeten Truppen und schlechte Waffen."
"Ich habe meine Garden. Mutige M�nner. Elitetruppen." Galbren verbeugte sich halb. "Und viele davon. Ihr seid nur zu viert."
"F�nft", sagte Saljin und gesellte sich zu ihren Artgenossen. Aryfaa warf ihr ein Dekka'shin zu.
Nein!, wollte Khiray ausrufen, aber er konnte keinen Ton hervorbringen. Saljin war nicht ger�stet! Sie w�rde das erste Opfer in einem Kampf sein.
"Sechst", sagte Dek ruhig, als tr�ge er keine Ketten.
Aber es waren drei�ig, vierzig Garden, dazu kamen jene, die weiter hinten in der Menge f�r Ordnung sorgten. Und weitere Trupps waren �ber die Stadt verteilt. Khiray hatte siebzig oder achtzig Mann gez�hlt, als die Garden in der Mordnacht nach Dek suchten. Sechs Fuchstauren z�hlten daneben nicht.
Galbren gab den Garden einen Wink. Schwerter wurden gez�ckt, hinderliche Umh�nge fielen in den Staub.
"So sei es", seufzte Mikhoi und griff an.
Der erste Schwung des Angriffs trug die Fuchstauren mitten in die Reihen der Garden, ehe diese angemessen reagieren konnten. Erfahrene Soldaten h�tten die Fuchstauren vielleicht aufgehalten, aber diese M�nner waren verarmte Bauern, arbeitslose Handwerker, Landfahrer und Flu�leute ohne Anstellung. Ein paar Wochen in einem Ausbildungslager ersetzten keine Erfahrung in echten Schlachten. Die Fuchstauren hingegen gingen methodisch und t�dlich entschlossen vor.
Zum wiederholten Male kam Khiray zu Bewu�tsein, da� er �ber die Fuchstauren so gut wie nichts wu�te. F�hrten sie Kriege? Bek�mpften sich ihre St�mme dauernd? Hatten sie m�chtige Feinde unter anderen V�lkern? Oder lebten sie in Frieden und bildeten nur einige wenige von ihnen f�r den Kampf aus?
Dokmaris und Halann griffen mit unverminderter Wut an, selbst als die erste Reihe der Garden unter weitausholenden Streichen der Dekka'shin gefallen waren. Khiray sah, da� Mikhoi Deks Ketten mit seiner Klinge durchtrennte. Die Hand- und Pfotenschellen konnte er nicht �ffnen, aber er gab dem Gefangenen seine Bewegungsfreiheit wieder.
Die Garden reagierten, aber zu sp�t. Farlin br�llte ein paar Befehle, aber er verf�gte �ber genausowenig Erfahrung und noch weniger Ausbildung als seine M�nner. Wahrscheinlich richtete er mehr Schaden als Nutzen an. Khiray hatte auch nicht den Eindruck, als w�rde jemand auf ihn h�ren.
Die Fuchstauren bewegten sich mit der Sicherheit und Entschlossenheit geborener Krieger. Ihr Zusammenspiel war perfekt: Mikhoi hatte Dek erreicht, ehe die Angreifer auf Widerstand trafen. Die Garden behinderten sich gegenseitig und schienen �berhaupt nicht zusammenzuarbeiten.
Weiter hinten in der Menge kam Panik auf. Die ersten Reihen der erwartungsvollen Felligen, die die Hinrichtung verfolgen wollten, blieben abrupt stehen, als die Gewalt direkt vor ihnen explodierte. Die Nachfolgenden dr�ngten in fr�hlicher Unwissenheit weiter nach vorne. Rufe wurden laut. "Sie k�mpfen!" "Nichts wie weg!" "Macht doch Platz!"
Aber die gro�e Menge in der engen Stra�e konnte sich nicht einfach aufl�sen. Das Geschrei wurde lauter. Die Garden, die weiter hinten den Zug ordnen sollten, kamen nicht vorw�rts, w�hrend die k�mpfenden Wachen sich den Fuchstauren allein stellen mu�ten.
Die Zeit schien unendlich langsam zu vergehen. Khiray sah, wie eine weitere Wache fiel. Die Fuchstauren nahmen keine R�cksicht; angesichts der �bermacht teilten sie t�dliche Streiche aus, statt die Garden nur kampfunf�hig zu machen. Der junge Fuchs dr�ngte sich mit dem R�cken an eine Hauswand. Der Kampf spielte sich direkt unter seiner Nase ab, und die Wahrscheinlichkeit, von der Menge zwischen die Garden geschoben zu werden und Opfer eines zuf�lligen Hiebs zu werden, wurde immer gr��er.
Erstaunt stellte Khiray fest, da� Blut auf seiner Weste klebte. Er konnte sich nicht erinnern, wie es dorthin gelangt war. Aber zu seinen F��en lag ein toter Gardist, den Arm halb abgetrennt, mit einem erstaunten Ausdruck auf dem Gesicht, als wollte er sagen: "Das hatte ich mir so nicht vorgestellt..."
"Zur�ck!" br�llte Mikhoi, und die Fuchstauren formierten sich neu. Dek war frei, die Gardisten nicht f�hig, sie aufzuhalten. Zum ersten Mal seit Beginn des Kampfes wurde Khiray klar, da� die Fuchstauren gewinnen w�rden, der �bermacht zum Trotz.
Aber dann erblickte der Fuchs weitere Gardisten, die aus der anderen Richtung kamen. Sie fielen den Fuchstauren in den R�cken -- und im Gegensatz zu den rotgekleideten Elitetruppen schienen diese Garden ihr Handwerk zu verstehen. Sie r�ckten im Gleichschritt vor, die Waffen gez�ckt, jede Reihe gegen�ber der vorigen versetzt marschierend, eine Mauer aus scharfem Stahl.
Khirays Blick wanderte hin�ber zu Galbren und Alfon, die im Schatten der jenseitigen Hauswand standen. Galbren l�chelte.
Der Fuchs verstand. Die sogenannten Elitetruppen waren f�r Galbren nur ein Ablenkungsman�ver. Er hatte sie erbarmungslos geopfert, w�hrend die wahren K�mpfer die Fuchstauren einkesselten. Der Gouverneur ben�tigte die Elitetruppen gar nicht, denn die Tausenden von Felligen, die zur Hinrichtung gekommen waren, blockierten diese Richtung der Stadt viel wirkungsvoller. Selbst wenn die Fuchstauren die vielen Unschuldigen geopfert und Unbewaffnete massakriert h�tten: die blo�e Zahl der Neugierigen h�tte sie aufgehalten.
Von den Rotgekleideten standen nur noch die, die sich im Kampf zur�ckgehalten hatten. Die Mutigen, die sich auf ein Duell mit einem Fuchstauren eingelassen hatten, lagen tot oder schwerverletzt am Boden. �berall war Blut -- in seinem ganzen Leben hatte Khiray noch nicht so viel Blut gesehen. Die Stra�e schien damit getr�nkt zu sein.
Die Fuchstauren schienen unverletzt, aber ihr wahrer Kampf begann erst. Khiray versuchte, seinen Blick von Saljin abzuwenden, und suchte unter den Gefallenen nach seinem Onkel Farlin.
Farlin stand in Galbrens N�he, mit weit aufgerissenen Augen. Er blutete aus einer Wunde am Arm, schien aber ansonsten nicht verwundet zu sein.
"Farlin!" rief Khiray. "Onkel Farlin!" Aber der L�rm, der sich ringsum erhob, verschluckte seine Worte. Die panikerf�llte Menge versuchte immer noch zu fliehen und trampelte sich dabei gegenseitig nieder. Glas klirrte und Holz splitterte; anscheinend bem�hten sich manche, dem Chaos zu entrinnen, indem sie in die angrenzenden H�user eindrangen.
Alles in Khiray schrie nach Flucht, aber er wu�te, da� es keinen Ausweg gab. Die Stra�e versank in einer Welle der Gewalt, und er konnte nichts tun au�er zuzusehen.
Er wu�te nicht einmal, wessen Sieg er erhoffen sollte. Wenn es �berhaupt einen Sieger geben w�rde und nicht nur Tote.
Der aufbrandende Kampf zog seine Augen magisch an. Die Fuchstauren hatten sich daran gemacht, die Phalanx der Wachen zu durchbrechen. Ihre Waffen waren ungleich besser als die der Garden, aber das gen�gte nicht. Drei�ig oder vierzig Garden standen gegen sechs Fuchstauren, von denen zwei unger�stet waren.
Dek war bereits verletzt. Er st�rzte sich verbissen in den Kampf, als m�sse er allein die Garden niederringen. Einer der anderen Fuchstauren hatte ihm ein Schwert gegeben, aber dessen Reichweite war viel geringer als die eines Dekka'shin, und Dek kam den Waffen der Garden viel zu nahe.
Wenn er sich t�ten l��t, dachte Khiray, war die ganze Aktion umsonst.
Aber es war nicht Dek, der fiel, sondern seine Gegner. Selbst diese Garden konnten den Fuchstauren nicht standhalten. Schritt f�r Schritt mu�ten sie zur�ckweichen. Nat�rlich, sie k�mpften nicht um ihr Leben -- Khiray ahnte, da� Galbren keinen der Fuchstauren entkommen lassen wollte.
Hatte er alles so geplant? Hatte er gewu�t, da� die Fuchstauren Dek retten wollten, und ihnen diese Falle gestellt?
Aber warum? Nur, um das Geheimnis des Trollstahls f�r sich zu erlangen? Oder um seine Truppen in einer echten Schlacht zu erproben? Das klang widersinnig, aber Galbren war l�ngst nicht mehr mit den Ma�st�ben der Felligen zu messen. Seine Tiraden gegen den Drunf�rsten hatten gezeigt, welcher Art seine Pl�ne waren.
Khiray bemerkte �berrascht, da� seine Pfoten ihn ohne sein Zutun der Schlacht immer n�her trugen. Erschreckt hielt er inne. In diesen Kampf wollte er sich nicht verwickeln lassen -- er hatte keine Waffen, au�er dem Dolch und dem Traummesser, wenn man das als Waffe bezeichnen wollte, und keinerlei R�stung.
Und es war nicht sein Kampf...
...oder?
Aryfaa stie� ihr Dekka'shin in die Brust eines Gardisten. Ein Wolf f�hrte einen m�chtigen Hieb gegen Halann, doch dessen R�stung lie� das Schwert des Wolfes abprallen. Saljin schien verletzt; sie war etwas zur�ckgefallen und schonte eine Vorderpfote. Ein Dachs stach immer wieder auf Mikhoi ein, der die St��e mit einem Dolch aufzufangen suchte.
"Wir m�ssen hier verschwinden!" h�rte Khiray. Er blickte sich suchend um. Es war Delley, der aus der Menge wieder aufgetaucht war, um den Fuchs zu suchen.
"Wir k�nnen nicht weg", erinnerte ihn Khiray. Ein Dolch wirbelte durch die Luft und prallte einige Meter von ihnen entfernt gegen die Wand.
Delley deutete nach oben. "Kannst du klettern?"
Khirays Blick wanderte erneut zu Galbren hin�ber. Der Gouverneur starrte fasziniert auf die Schlacht. Nur Alfon...
Alfon sah Khiray an. Ihre Blicke trafen sich. Das Wurm-Wesen l�chelte und schien etwas zu sagen.
Dann erscholl hinter der Menge, im Zentrum der Panik, ein Br�llen, das die Hausw�nde ringsum erbeben lie�. Zwei dunkle Schatten, die die Menge weit �berragten, bahnten sich ihren Weg durch die dr�ngenden Felligen.
�berdeutlich sp�rte Khiray die kalte Mauer in seinem R�cken.
B�ren.
Sie durchwateten die Fliehenden, als stapften sie durch Wasser. Die Menge bremste ihren Schritt nur unwesentlich. Sie trugen rote Westen und Lendenschurze -- und ansonsten nur G�rtel mit Waffen, die um ihre H�ften und �ber ihre Schultern geschlungen waren. Garden? B�ren als Gardisten? Khiray hatte noch nie etwas davon geh�rt, da� die einzelg�ngerischen und seltenen B�ren sich f�r solche Besch�ftigungen hergaben. So gro� und kr�ftig sie waren, so harmlos gaben sie sich -- solange sie nicht gereizt wurden.
Die beiden B�ren waren selbst f�r ihr Volk gro�. Sie �berragten die anwesenden W�lfe noch um eine Kaninchenl�nge. Ihr Fell hing in schmutzigen Zotteln an ihnen herab, und ihre gebleckten Z�hne waren gelb und fleckig. Ausgesto�ene vielleicht, die ihrer eigenen Rasse nicht mehr willkommen waren. Sie glichen sich aufs Haar, vielleicht Br�der.
"Mach schon", dr�ngte Delley und zerrte an Khirays Weste. "Das ist ein Massaker!"
Die B�ren marschierten an Khiray, Delley, Galbren und Alfon vorbei, lie�en sich auf alle viere hinab und begannen zu rennen. Selbst auf vier Pfoten �berragten sie Khiray noch. Mit aufgerissenen Augen beobachtete der Fuchs den Angriff.
Jeder B�r wog sicherlich so viel wie drei Fuchstauren, wahrscheinlich mehr. Sie machten sich nicht einmal die M�he, ihre Waffen zu ziehen, sondern rannten ihre Gegner einfach um. Die Garden zogen sich zur�ck und �berlie�en den B�ren das Feld.
"Wir m�ssen etwas unternehmen!" rief Khiray.
"Wir m�ssen verschwinden, das ist das einzige, was wir m�ssen", protestierte Delley. "Und zwar jetzt!"
Khiray ri� sich von der Ratte los und lief in Richtung der B�ren. "H�rt auf! H�rt auf zu k�mpfen!" Er wu�te nicht, was in ihn gefahren war. Die B�ren konnten ihn mit einem Hieb t�ten. Aber irgendwie k�mmerte ihn diese Aussicht jetzt nicht.
Der erste B�r schlug Halann nieder. Gegen die Gewalt dieser Hiebe sch�tzte auch die Trollstahl-R�stung nicht. Der Fuchstaur sackte zu Boden und r�hrte sich nicht mehr.
Der zweite B�r drehte sich zu Khiray um, zuckte die Achseln und packte Aryfaa. Er hob sie m�helos in die Luft, wirbelte sie einmal herum und warf sie dann in Khirays Richtung. Der Fuchs konnte dem lebenden Gescho� ausweichen, stolperte jedoch �ber einen st�hnenden Verwundeten und fiel in den Schmutz.
"Khiray!" Die Stimme geh�rte Aryfaa, nicht Delley. "Du darfst dich nicht einmischen!" M�hsam kam die Fuchstaurin wieder auf die Pfoten. "Das ist nicht dein Kampf!"
Khiray setzte sich auf. Nein, nicht sein Kampf.
Einer der B�ren schlug auf Saljin ein.
Andererseits... war er nicht oft genug davongelaufen?
Der andere B�r war verletzt. Mikhoi hatte ihm mit dem Dekka'shin eine tiefe Wunde an der Seite beigebracht. Die B�ren waren nicht ger�stet und etwas schwerf�llig.
Aber ihre Gr��e t�uschte; ihre Bewegungen waren flinker, als Khiray angenommen hatte. Der B�r entri� Mikhoi die Waffe und zerbrach den Schaft wie einen d�rren Zweig.
Der Fuchs rappelte sich auf. Saljin -- wo war Saljin? Die Fuchstaurin lag als niedergeschlagenes B�ndel an einer Hauswand. Khiray eilte in ihre Richtung, ungeachtet der B�ren und der anderen Garden.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie Dek einem der B�ren das Schwert in den Leib rammte. Vielleicht war der Kampf nicht ganz aussichtslos...
Aber der B�r weigerte sich zu sterben. Er ri� das Schwert aus der Wunde und schleuderte es von sich.
"Saljin?" Die Fuchstaurin atmete noch. "Saljin!"
Sie �ffnete die Augen. "Khiray? Du... du darfst nicht bleiben!"
"Verdammt!" fauchte der Fuchs. "Ich bin es leid, da� mir jeder vorschreiben will, was ich nicht machen darf!" Aber er wu�te, da� es das Vern�nftigste w�re, was er tun k�nnte. Verschwinden. Weit fortgehen. Er hatte keine Zukunft mehr in der Stadt, und wenn er sich nicht bald aus dem Staub machte, hatte er gar keine Zukunft mehr.
Aber er konnte nicht. Er konnte nicht gehen.
"Ich..." sagte er.
Dann traf etwas Hartes auf seinen Hinterkopf, und er sank in eine abgrundtiefe Schw�rze.