Kapitel Zwei


Die vielf�ltigen Ger�che der Stadt drangen in Khirays Nase, als er das Schiff verlie� und vom Dock zum Kai emporstieg. Die wechselnden Wasserst�nde des Flusses machten es notwendig, da� die Stadt selbst erh�ht gebaut war; sie erstreckte sich �ber mehrere gr��ere H�gel. Unten am Wasser standen alle H�user auf Pf�hlen, die Stra�en waren ein Netz aus Bohlen und Br�cken. Dies war das Fischer- und Bootsfahrer-Viertel der Stadt. Der Hafen selbst bestand aus dem hohen, aus groben Steinen gemauerten Kai und dem schwimmenden Anlegedock, das �ber breite, bewegliche Br�cken mit dem Kai verbunden war. Alle gr��eren Schiffe legten am Dock an, nur die kleinen Boote machten direkt am Kai fest -- wo hohe Leitern den Schiffern das Aussteigen erm�glichten -- oder fuhren durch das Labyrinth der Pf�hle unmittelbar zu einem Haus.

Die gepflasterten Stra�en Sookandils reichten vom Zentrumsviertel bis zum Kai hinab. Nicht jeder Stadtteil war mit Stra�en versehen; schlammige Gassen und Trampelpfade f�hrten in den �rmeren Vierteln durch die chaotische Anordnung der H�user und H�tten. Jene Stadtteile -- die Viertel der Tagel�hner, Lastentr�ger, Hilfsarbeiter -- bestanden aus Holzh�tten billigster Art, meist aus Abfallholz gezimmert und nicht immer regendicht. Keine dieser Baracken besa� richtige Fenster; Leintuch verh�llte L�cher in den W�nden. Hier und da sah man Lehmh�tten. Diese armen Bezirke lagen im Norden und Westen der Stadt.

Die etwas wohlhabenderen B�rger -- Kleinh�ndler, Handwerker und gelernte Arbeiter -- besa�en H�user aus gutem Zimmerholz oder Stein. In ihren Vierteln befanden sich Fu�wege aus Bohlen oder Trittsteinen entlang der Stra�en. Die Stra�en selbst waren nur festgestampfte Erde, aber zumindest konnte man auf den Fu�wegen trockener Pfote gehen.

Das Zentrum jedoch, das Viertel der Beamten, Gro�h�ndler, Meister und Priester, bestand ausschlie�lich aus Steinh�usern, manche von ihnen vier Stockwerke hoch. Hier waren alle Stra�en gepflastert und wurden von Laternen ges�umt. Die H�user besa�en Fenster mit Scheiben aus teurem, flachem Glas.

Allen Vierteln aber war gemein, da� zahlreiche B�ume und freie Fl�chen die H�userreihen durchbrachen. Selbst die �rmsten B�rger lie�en Eichen und Linden am Rand der Gassen stehen, und die Kinder der Stadt konnten auf gr�nen Wiesen spielen -- sofern sie Zeit zum Spielen er�brigen konnten und nicht im Gesch�ft der Familie aushelfen mu�ten.

Khiray hatte in den Men'schin-St�dten andere Bauweisen gesehen. Men'schin umgaben ihre St�dte h�ufig mit Mauern, und damit diese Mauern nicht zu lang wurden, mu�ten die H�user in ihrem Inneren eng beieinander stehen. Eine erdr�ckende Architektur, fand Khiray, die den Men'schin kaum Platz zum Atmen lie�. Saskeeld war auf diese Weise erbaut: ein d�sterer Ort, wo die hohen Mauern der grauen H�user sich �ber die Stra�en hinaus w�lbten und die D�cher oftmals die Gassen v�llig vom Sonnenlicht abschlossen. Es gab keine B�ume und keine Wiesen in Saskeeld, und die wenigen freien Pl�tze schienen von tausend Augen beobachtet zu werden.

Men'schin, was f�r ein seltsames Volk.

Khiray hatte geh�rt, da� es unter den Men'schin h�ufig Kriege gegeben hatte und da� Stadtmauern ein Schutz waren. Das Fellvolk bedurfte dieses Schutzes nicht. Im Armygan gab es nur ein Reich f�r alle Rassen, und die Unzug�nglichkeit des Armygan fernab der Men'schin sch�tzte das Fellvolk besser als jede Mauer. Saskeelds Stadtmauern, so hatte Khiray erfahren, waren tats�chlich von den Men'schin erbaut worden, weil man f�rchtete, da� das Fellvolk sie angreifen k�nnte. Was f�r eine l�cherliche Vorstellung.

Vor zwei- oder dreihundert Jahren hatte ein Gouverneur von Sookandil tats�chlich den Gedanken gehabt, die Stadt br�uchte eine Mauer, um sie vor den Gefahren des wilden Landes zu sch�tzen. Unter seiner Herrschaft hatte man begonnen, einen m�chtigen Schutzwall zu errichten. Die Arbeiten starben jedoch mit dem Gouverneur. Das fertige Mauerst�ck, zweihundert Meter lang und begrenzt von zwei gedrungenen Wachtt�rmen, durchbrochen von einem eindrucksvollen Tor, trennte heute das Tagel�hnerviertel des Westens vom Zentrum ab. Es war schier un�berwindlich. Niemand hatte es je geschafft, die W�lle zu erklimmen. Niemand hatte es je versucht... Man pflegte rechts oder links an der Mauer vorbeizugehen oder das Tor zu benutzen, dessen h�lzerne, geschnitzte Fl�gel leider nie fertiggestellt worden waren und das daher nicht zu schlie�en war.

Khiray blieb kurz auf dem Kai stehen und atmete tief durch. Fischgeruch drang aus dem Fischerviertel. K�chendunst zog vorbei. Der chemische Gestank von Gerbmitteln, Farben und alchemistischen Substanzen wehte schwach heran. Rauch, Staub, Gew�rzduft und ein Hauch nach frischen Brotkrusten lagen in der Luft, vermischt mit den individuellen Ger�chen Hunderter Felliger der verschiedenen Rassen.

Nach der 'Silbernen Ansicc' war Sookandil der Ort, der f�r Khiray einem Zuhause am n�chsten kam. Obgleich er die verschlafene Atmosph�re, die provinzielle Abgeschiedenheit verabscheute, hatte er doch beim Betreten des Kais das Gef�hl, heimzukehren.

Tagel�hner eilten heran, um ihre Dienste beim Entladen des Schiffes anzubieten. Saswin begann damit, ihnen ihre Aufgaben zuzuteilen. Die hellen Stimmen m��iger Kinder erklangen, die das Einlaufen der 'Silbernen Ansicc' bemerkt hatten. In der Ferne riefen die Glocken des Brotmarktes zum Kauf.

Khiray begab sich ohne Z�gern zum B�ro des Hafenmeisters, um das Schiff zu melden und das Eintreffen der Ladungen bekanntzugeben. Die Hafenmeisterei war ein kleines Steingeb�ude mit hohem Dach am Ende des Kais. Direkt neben diesem Haus stand das Leuchtfeuer, dessen Unterhaltung in der Nacht und an nebligen Tagen ebenfalls zu den Pflichten des Hafenmeisters geh�rte.

Brokvorth der Wolf war schon Hafenmeister, seit Khiray denken konnte. Er war inzwischen alt geworden, sein ehemals stahlgraues Fell schneewei�, seine Augen tr�be und sein Gang schleppend. Aber er hatte sich immer wieder geweigert, sein Amt seinem Enkel zu �berlassen; schlie�lich war sein Verstand noch scharf, und die meiste Arbeit erledigten sowieso die Gehilfen.

"Meister Brokvorth?" fragte Khiray. Der Wolf sa� hinter seinem Schreibtisch und begutachtete Tabellen und Listen, die er dicht vor die Augen hielt. Als er das Eintreten des jungen Fuchses bemerkte, sah er auf.

"Khiray!" Er l�chelte. "Ihr seid sp�t dran. Ich hatte euch vor einer Woche erwartet."

"Probleme mit dem Kessel", erkl�rte Khiray zum wiederholten Male. Er berichtete kurz von der Fahrt und den Neuigkeiten aus den Men'schin-St�dten, die Brokvorth immer ungemein interessierten.

"Hmja", grunzte der alte Wolf schlie�lich. "Ich f�rchte, ich habe schlechte Neuigkeiten f�r euch."

"Was ist geschehen?" Khiray hatte keine Ver�nderungen in der Stadt bemerkt. Hochwasserfluten richteten immer gr��ere Sch�den im Hafenbereich an. Ein Feuer vielleicht, das ein Arbeiterviertel verw�stet hatte?

"Der alte Gouverneur Chinnap ist gestorben. Sein Sohn hat seine Nachfolge �bernommen."

"Sarmeen?"

"Nein, Galbren." Der Hafenmeister trommelte mit den Krallen auf dem Tisch herum.

Khiray schluckte. Galbren war nicht gerade ein umg�nglicher Wolf, ganz im Gegenteil. Er war finster und herrschs�chtig. Sarmeen w�re der designierte Nachfolger Chinnaps gewesen, aber es pa�te zu Galbren, da� er den Posten okkupierte. "Was ist mit Sarmeen geschehen?"

"Niemand wei� Genaues. Es hei�t, da� Sarmeen bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen ist. Aber man hat niemals eine Leiche gefunden. Jedenfalls ist niemand da, der sich Galbrens Anspr�chen widersetzen k�nnte."

Khiray schnitt ein Gesicht. "Nun, wir werden nicht allzuviel mit ihm zu tun haben. Vater will so bald wie m�glich wieder aufbrechen."

"Galbren hat die Steuern erh�ht. Die Liegegeb�hren sind auch gestiegen. Ihr werdet weniger f�r eure Waren bekommen, als ihr vielleicht erwartet habt. Und mehr f�r neue Ladung bezahlen m�ssen."

"Das wird Vater nicht gefallen. Die Reparaturen am Kessel sind schon teuer genug."

Meister Brokvorth runzelte die Stirn. "Galbren zieht uns allen das Fell �ber die Ohren. Aber die meisten B�rger glauben, es sei nur zu ihrem Besten. Hast du die Geh�ngten gesehen?"

"Geh�ngte? In Sookandil ist seit f�nfzig Jahren niemand mehr geh�ngt worden."

"Perlish und seine Bande. F�nf Fellige. Haben seit ein paar Monaten die Gegend unsicher gemacht. Ein paar �berf�lle und R�ubereien. Vor zwei Wochen ist drau�en auf dem Madrenhof Madrens Frau vergewaltigt worden. Galbren hat seine Garde losgeschickt, und jetzt baumeln die Schurken." Der Wolf seufzte tief. "Die neue Garde ist sehr... effizient. Aber ich traue Galbren trotzdem nicht �ber den Weg."

Ver�rgert verlie� Khiray das B�ro. H�here Kosten, gr��ere Ausgaben, weniger Gewinne. Galbren als Gouverneur? Er hatte Galbren ein- oder zweimal im Gouverneurspalast gesehen und nicht den besten Eindruck von ihm gewonnen. Auf der anderen Seite bedeutete jeder neue Gouverneur auch einen neuen Regierungsstil. Ehe Galbren sich nicht etabliert und als w�rdig erwiesen hatte, w�rde eine gewisse Unruhe in der Stadt herrschen.

Wie Khiray erwartet hatte, explodierte Saswin, als der junge Fuchs ihm die Nachrichten �berbrachte. Er hatte bereits mit Kunden gesprochen und �ber Tarife verhandelt, aber die Neuigkeiten warfen alle Verhandlungen �ber den Haufen. Um noch den n�tigen Gewinn aus der Fahrt zu ziehen, w�rden sie die Preise f�r eigene Waren erh�hen m�ssen. Selbst die Tagel�hner wollten mehr Geld.

"Eines Tages werden wir keine M�nzen mehr benutzen", prophezeihte Saswin, "weil wir dann unsere Geldbeutel in Schubkarren transportieren m��ten, wenn wir auch nur essen gehen. Geld wird dann auf Papier gedruckt werden wie B�cher, und wenn wir es nicht fest genug halten, fliegt es davon." Er sch�ttelte sorgenvoll den Kopf. "Das Gef�hl habe ich ohnehin schon."

Khiray �berlie� Saswin seinen Gesch�ften und ging in den Maschinenraum des Raddampfers, um nach Delley zu sehen. Delley war eine Ratte und der Maschinist der 'Silbernen Ansicc'. Es gab auf dem ganzen Flu� kaum einen geschickteren und erfahreneren Maschinenmann. Ohne Delley h�tte die 'Silberne Ansicc' schon viele Male antriebslos festgelegen.

Diesmal jedoch mu�te er seine geliebten Maschinen den Kesselflickern �berlassen. Die n�tigen Arbeiten lie�en sich mit Bordmitteln nicht mehr durchf�hren.

Der Maschinenraum lag mittschiffs, direkt zwischen den Schaufelr�dern. Da der Raddampfer nur geringen Tiefgang hatte, lagen die Maschinen �ber der Wasserlinie, auf dem Frachtdeck. Seit dem Einbau der Hitzeschleife wurde der Kohle- und Holzbunker nicht mehr ben�tigt; dort war jetzt Fracht untergebracht. Aber obgleich die Hitzeschleife die Verwendung von Heizmaterial �berfl�ssig machte, roch es bei den Kesseln immer noch nach Kohlestaub und Asche. Der intensive Geruch nach Schmiermitteln und hei�em Stahl lie� Khiray die Nase r�mpfen.

Die Gr��e der Kessel und Getriebe war beeindruckend. Die dicken Achsen der Schaufelr�der, die gewaltigen Zahnr�der, die Gest�nge und �bersetzungen f�llten fast den ganzen Maschinenraum, lie�en gerade Platz genug zum Stehen. Gitterroste und Leitern bildeten verschlungene G�nge �ber und unter den Maschinen. Aber trotz der drangvollen Enge war an allen wichtigen Stellen Platz genug, die Maschinen zu inspizieren, zu schmieren und notfalls zu reparieren.

Die Kesselflicker, zwei Ratten, ein Kaninchen und ein Wolf, st�hnten bereits unter Delleys Anweisungen. Delley hatte keine Zeit verloren, die Handwerker zusammenzutrommeln. Wenn er die Kesselflicker weiterhin antrieb, w�rden die Maschinen in einer Woche wieder laufen k�nnen -- oder die Arbeiter streiken.

"Delley, hast du einen Moment Zeit?" fragte Khiray.

"Eigentlich nicht. -- He, da dr�ben! Wirf mir nicht die Werkzeuge um! -- Was gibt es denn?"

"Vater und ich gehen zum Palast wegen der R�ckzahlung. Wir sind in einer Stunde zur�ck. Sollen wir anschlie�end in die Stadt, ein wenig bummeln gehen?"

"Das Geld brennt dir wohl hei� in der Tasche, eh? -- NICHT DORT! Rechts, ihr Trottel! -- Was ist mit den Verk�ufen?"

"Vater sagt, wir m�ssen erst Ausk�nfte einholen. Uns umh�ren. Die Preise neu festsetzen. Wu�test du, da� Sookandil einen neuen Gouverneur hat?"

"Nah. Erz�hl's mir sp�ter. -- Mit den Werkzeugen wollt ihr arbeiten? Hier, DAS ist ein Hammer! -- Arbeit und Vergn�gen kombinieren, was? Einmal durch die Kneipen ziehen?"

"So hat er es sich wohl vorgestellt, mehr oder weniger." Khiray dachte an das vorz�gliche Bier, das sie im S�dviertel brauten. "Ich bin mir sicher, die Kesselflicker kommen auch ohne dich zurecht." Diese Feststellung erntete dankbare Blicke von den Handwerkern.

"Da bin ich mir nicht so sicher. Aber wenn sie mir hier etwas versauen, nagele ich ihre Ohren an das Deck. -- Was denn, das soll Blech sein? Da ist ja das rostige Dach vom Oberdeck besser geeignet! -- Nun, wenn die Pflicht ruft, folge ich gerne."

"Wenn die Pflicht in die Bars ruft..."

Delley grinste. "Nat�rlich. -- Wollt ihr etwa den ganzen Kessel ausbauen wegen dem kleinen Loch? Hier, stellt euer Ger�st zwischen den Kesseln auf! Und was ist das wieder...?"

* * *

Das Fellvolk pflegte wenig Kleidung zu tragen. Das gew�hnliche, von beiden Geschlechtern getragene Kleidungsst�ck war der Lendenschurz. Er bestand aus einem schmucklosen G�rtel und einem Tuch, das am hinteren Ende aufgeschlitzt war. Das Tuch wurde zwischen den Beinen hindurchgef�hrt und vorn und hinten am G�rtel befestigt, so da� die drei Enden lose herabhingen. Der Schwanz blieb durch das geschlitzte Ende frei beweglich. Am G�rtel lie�en sich bei Bedarf auch Taschen und Waffen befestigen.

Manche Fellige trugen nicht einmal das; Otter lehnten jegliche Kleidung grunds�tzlich ab, weil sie ihre Beweglichkeit im Wasser behinderte, und verwendeten nur zeitweise Taschengurte. Tagel�hner und Hilfsarbeiter leisteten sich selten den Luxus eines sauberen Schurzes. Das Fellvolk war durch ihren Pelz ohnehin gegen kaltes Wetter gefeit.

In der Hauptstadt und allen wichtigen Orten gab es wechselnde Moden. Kleidung war auch ein Signal des Status, und die teilweise hei�en und unbequemen Verh�llungen, denen sich der Adel unterwarf, dienten allein dem Pr�sentieren pers�nlichen Reichtums. Manchmal verlangte die Mode Freiz�gigkeit, und die einzige erlaubte Kleidung waren Perlenschn�re und Streifen gewobenen Stoffs, besetzt mit kostbaren Steinen. In anderen Jahren durfte nur wenig vom K�rper �berhaupt zu sehen sein, und je ausladender und stickiger die Kleidung war, um so angesehener der Tr�ger.

Manchmal �bernahm man die Mode von anderen V�lkern, etwa den Men'schin: es war zur Zeit von Khirays Besuch in Drun'kaal etwa unter weiblichen Felligen Brauch gewesen, die Br�ste zu verh�llen. Man hatte schnell wieder darauf verzichtet, da Br�ste beim Fellvolk erstens nicht dieselbe erotisierende Wirkung hatten wie bei den Men'schin und zweitens nicht so ausgepr�gt waren. Die meisten Felligen besa�en noch rudiment�re Reihen von je zwei oder drei Brustwarzen, wenn auch nur zwei Br�ste voll ausgepr�gt waren -- mit Ausnahme der Ratten, bei denen vier Br�ste die Regel waren. Als optische Signale waren Schw�nze und Ohren wichtiger, und die aktuellste Mode verlangte, die Ohren mittels bunter papierner T�ten zu vergr��ern und die Schw�nze hochgebunden zu tragen.

Aber fernab der Hauptstadt pflegte man die Narreteien der Mode nicht mitzumachen, die ja ohnehin erst mit monatelanger Versp�tung in die St�dte entlang des Flusses kam. Man begn�gte sich mit praktischer Kleidung -- Sch�rzen und Umh�nge zum Schutz des Fells bei Malern, Schmieden oder B�ckern; Kitteln mit vielen Taschen bei Handwerkern; weiten R�cken und sch�tzenden Lederwamsen bei den Garden. Nat�rlich stellte man auch hier seinen Besitz durch Kleidung zur Schau, jedoch nie in einem Ma�e, da� die Bequemlichkeit dadurch behindert wurde.

F�r den Besuch beim Gouverneur zog Khiray einen guten Schurz an, der mit Stickereien verziert war, h�ngte einen Beutel an den G�rtel und streifte eine Weste mit einer Borte aus Silberf�den �ber. Ein kleines Messer sollte Wehrhaftigkeit demonstrieren, aber nicht aggressiv wirken. Das Geld h�ngte er sich wie immer in einem Beutel um den Hals, wo es Taschendieben schwerer fiel, es ihm abzunehmen.

Sein Vater war �hnlich gekleidet, als sie die Stra�e zum Zentrum hinaufmarschierten, nur da� er seine F��e auch mit gebundenen Sandalen gesch�tzt hatte. Schuhe waren ein Privileg; die wenigsten Felligen leisteten sich diesen Luxus. Unter Men'schin, so hatte Khiray zu seiner Verbl�ffung festgestellt, waren Schuhe allgemein �blich, und es gab eine gro�e Auswahl an Fu�bekleidung. Aber Men'schin hatten auch zarte, weiche F��e, die sich zum Laufen auf Steinen und in dornigem Gel�nde kaum eigneten.

Der Palast des Gouverneurs war das gr��te Haus in der Stadt und besa� zwei T�rme, doch es war ebenso aus Stein gemauert und schlicht gehalten wie die meisten anderen H�user. Es gab keine extravaganten bunten Glasfenster, keine Kuppeln und geschwungene B�gen, keine Br�cken und steinerne Tiere, die auf dem Dach hockten. Sookandil war keine Stadt, die sich f�r ihren Gouverneur besonderen Luxus leistete.

Es dauerte nicht lange, zum neuen Gouverneur vorgelassen zu werden. Galbren hatte anscheinend nicht viel zu tun. Die Gouverneure stellten die Verwalter und obersten Beamten, aber auch die Richter und Schlichter der Stadt dar. Nachdem Galbren f�nf Fellige hatte h�ngen lassen, war die Aktivit�t von R�ubern und Dieben wohl merklich zur�ckgegangen.

Es fiel Khiray jedoch auf, da� Garden �berall pr�sent waren. Auf den M�rkten standen Garden, im Palast selbst hielten sich einige auf, und man konnte kaum drei Stra�en weit gehen, ohne auf eine Patrouille zu sto�en. Die Garden sollten f�r Sicherheit sorgen und Gesetzesverst��e umgehend ahnden oder gleich verhindern. Aber Khiray f�hlte sich seltsam beobachtet. Vielleicht lag es an den neuen Uniformen. Unter dem alten Gouverneur hatten die Garden einfache Kleidung mit einem Abzeichen getragen. Jetzt liefen die W�chter in Lederwams, Lederrock und Schuhen herum, und ihre Arme und Beine waren von geh�rteten Schienen gesch�tzt. Unter der R�stung trugen sie roten Seidenstoff -- rot wie Blut --, und von den Schultern der Hauptleute flatterten grellgelbe Stoffstreifen. Und obgleich es �blich war, in der Stadt Waffen offen zu tragen, war die Art ihrer Bewaffnung eher geeignet f�r einen Men'schin-Krieg. Vielleicht lag es daran, da� Khiray meinte, zwei- oder dreimal so viele Garden zu sehen wie bei seinem letzten Aufenthalt hier. Sie waren einfach auff�lliger.

Andererseits -- vielleicht auch nicht.

"Willkommen zur�ck in Sookandil", sagte der Gouverneur. Das Amtszimmer Galbrens war schlicht und schmucklos, bis auf die Waffen an den W�nden: Schwerter, Lanzen, Messer, Hellebarden. Chinnap hatte Luxus geliebt, keine Waffen. Galbren schien aus anderem Holz geschnitzt.

"Danke, Gouverneur." Saswin verbeugte sich h�flich. "Wir m�chten Euch zu Eurer Amts�bernahme gratulieren."

Galbren nickte bed�chtig. "Danke. Es scheint jedoch ein wenig unpassend, angesichts der Umst�nde. Ich w�rde diesen Sitz nicht innehaben, w�re nicht mein lieber Bruder Sarmeen -- verschwunden. Ich bin ein einfacher Felliger, der die Jagd liebt. Diese Regierungsgesch�fte sind Gift f�r meine Gesundheit. Aber es w�rde meinem Vater das Herz brechen, w�rde ich mich der Pflicht entziehen."

Khiray sch�tzte Galbren ganz anders ein. Zu seinen Lebzeiten hatte Galbren kaum ein freundliches Wort f�r seinen Vater �brig gehabt. Der Gouverneur sa� nicht hinter diesem Tisch, weil er irgendeine Pflicht zu erf�llen hatte, sondern weil er dort sein wollte.

Aber wer erwartete schon die Wahrheit von einem Politiker? Gegen die R�nkespiele in Drun'kaal waren Galbrens salbungsvolle Ausfl�chte harmlos.

"Es tut uns leid, das zu h�ren", erwiderte Saswin. Nat�rlich tat es ihm nicht leid. Khiray wu�te, da� sein Vater Galbren f�r einen intriganten Demagogen hielt. Aber der h�fliche Austausch von L�gen gen�gte wenigstens dem Zeremoniell.

"Wie gehen die Gesch�fte?" Galbren beugte sich vor.

"Sie k�nnten besser sein. Die Abgaben sind erh�ht worden." Saswin tat, als habe eine dritte Person diese Erh�hung veranla�t, nicht Galbren selbst. Im Geiste machte sich Khiray Notizen. Eines Tages w�rde er auf �hnliche Weise mit Gouverneuren sprechen m�ssen.

"Ja, eine Schande f�r das Gesch�ft. Mich selbst trifft diese Erh�hung ja auch. Es ist Euch sicher bekannt, da� ich selbst �ber zwei Schiffe verf�ge. Ehe die Umst�nde mich in das Amt zwangen, hatte ich eine Karriere als H�ndler im Auge. Mein lieber Bruder war ja stets derjenige, der den Posten erben sollte. Nun mu� ich in meiner Eigenschaft als Gouverneur Steuern erh�hen und Abgaben verlangen, w�hrend ich als H�ndler doch lieber Steuern senken und weniger zahlen w�rde."

"Eine �u�erst prek�re Situation", erwiderte Saswin ernsthaft.

"Was mich zu Eurem Darlehen bringt."

Khiray hielt die Luft an. Noch mehr schlechte Nachrichten? Er sah, wie der Schwanz seines Vaters zu zucken begann. Saswins Miene blieb gelassen, aber Khiray konnte vorhersagen, da� er kurz vor einem Zornesausbruch stand.

Und man sollte niemals in Gegenwart der M�chtigen die Beherrschung verlieren.

"Wir sind uns sicher, da� wir alle strittigen Fragen zu beiderseitiger Zufriedenheit kl�ren k�nnen", sagte Khiray schnell und trat vor seinen Vater.

Galbren, offenbar ein wenig �berrascht, nickte. "Ihr habt mit meinem Vater einen g�nstigen Vertrag �ber eine gewisse Summe Geldes abgeschlossen. Als H�ndler kann ich die vereinbarten Bedingungen in dieser Form nicht aufrechterhalten. Ich mu� die Zinsen ein wenig der Wirtschaftslage anpassen." Er nannte eine neue Summe, die nicht weit von Wucher entfernt war -- und um so weiter von den g�nstigen Konditionen, die Chinnap Saswin gew�hrt hatte.

Khiray trat seinem Vater auf die Zehen, ehe dieser etwas sagen konnte. "Nicht alle von uns tragen Schuhe", meinte er. Nicht alle von uns sind so reich, da� wir solche Zinsen zahlen k�nnten.

"Es steht Euch frei, Euch von dem Vertrag freizukaufen, indem Ihr die gesamte Summe sofort zur�ckzahlt." Galbren funkelte sie aus zusammengekniffenen Augen an. Erwartete er allen Ernstes, da� sie den gesamten Kredit sofort abzahlen konnten? Das Geld, das Saswin f�r die Hitzeschleife ben�tigt hatte, war zwar zu zwei Dritteln abgezahlt, aber auch der Rest war noch eine betr�chtliche Summe.

"Ich f�rchte, das ist uns nicht m�glich. Angesichts des schlechten Gesch�ftes haben wir diese Summe nicht in barem Gold verf�gbar." Khirays Gedanken rasten. Er verhandelte mit einem Gouverneur -- Witz und Verstand waren gefragt. Und Erfahrung, aber die hatte er nicht zu bieten; Gesch�fte auf eigene Faust hatte er nur mit weit kleineren Summen Geldes unternommen.

Und alle Tr�mpfe lagen in Galbrens Hand. Chinnaps Tod hatte den Kredit in seine Krallen gespielt, und das Gesetz gab ihm das Recht, den Vertrag zu modifizieren. Galbren war zu klug, mehr zu verlangen, als gerade noch statthaft war, aber er sch�pfte seine M�glichkeiten bis an die Grenze aus.

Aber Khiray mu�te seinem Vater das Heft aus der Hand nehmen, sonst h�tte Saswin versucht, den Wolf zu erw�rgen. Was auch ohne anwesende Garden schlecht ausgegangen w�re, denn Galbren war fast zwei K�pfe gr��er als Saswin, massiger gebaut und etliche Jahre j�nger.

Es gelang Khiray schlie�lich, ihre Gesch�fte in so schwarzen Farben zu beschreiben und die M�glichkeit anzudeuten, da� seine Familie Schiff und Gesch�ft verlor -- womit der Kredit ebenfalls hinf�llig wurde --, da� Galbren seine Forderungen leicht senkte. Er verlangte immer noch mehr, als Khiray zahlen wollte, aber der junge Fuchs mu�te sich damit zufriedengeben. Sein Vater trug Schuhe; das Spiel "ich besitze nichts, also kann ich nichts geben" lie� sich nicht beliebig weit treiben.

Mit allerlei sch�nen Formeln, guten W�nschen und erlogenen Nettigkeiten dr�ngte Khiray seinen Vater zur T�r, und sie verlie�en den Palast unbehelligt.

Erst als sie um die n�chste Ecke gegangen waren, lie� Saswin die Maske der Gleichmut fallen und knirschte mit den Z�hnen. "Dieser kleine miese... Was glaubt er denn eigentlich... Wenn ich nicht so ein friedliebender..."

"Wir k�nnen nichts tun", erinnerte ihn Khiray. "Es ist alles im Rahmen der Gesetze."

"Ja", seufzte sein Vater. "Alles im Rahmen der Gesetze. Genau wie die Steuern und die Abgaben und... Ich sollte ihm die Kehle..."

"Er hat die Zahl der Garden erh�ht", stellte der junge Fuchs fest.

Saswin grunzte und sagte eine Weile lang nichts. Schlie�lich bemerkte er: "Das hast du gut gemacht. Geschickt verhandelt. Du wirst einmal ein gro�artiger H�ndler werden."

Khiray l�chelte still. Es war nicht unbedingt sein Traum, H�ndler zu sein. Aber das Lob seines Vaters war ihm dennoch h�chst willkommen.

"Und ich werde alt. Es ist schon zu lange her, seit ich mit diesen frechen Kerlen die Klingen gekreuzt habe. Wenn man eine Weile lang nur mit ehrbaren Leuten Gesch�fte macht, verliert man seine F�higkeit, den Gaunern Paroli zu bieten. Halsabschneider. H�ndler und Gouverneur gleichzeitig, das sollte das Gesetz verbieten."

Khiray zuckte die Achseln. "Wir k�nnen immer noch eine andere Route fahren, und die Zinsen sind nicht unbezahlbar."

Saswin nickte. "Wir werden nicht arm werden. Aber die Leute in der Stadt k�nnen ihrem Gouverneur nicht einfach aus dem Wege gehen. Sie sollten sich beim Drunf�rsten beschweren."

"Die Reise ist weit und teuer. Galbren versteht es sicher, sich mit allen gutzustellen, die eine Beschwerde vorbringen k�nnten -- oder �berhaupt am Hof des Drunf�rsten angeh�rt w�rden." Khiray konnte sich nicht vorstellen, da� ein Bauer im Lendenschurz bei Hofe Geh�r fand. Gerechtigkeit war f�r die, die sie sich leisten konnten.

"Er versteht noch mehr, nach allem, was ich geh�rt habe...", sinnierte Saswin. Dann richtete er sich auf. "Ich mu� zur�ck zum Schiff. Soll ich Delley sagen, da� du hier auf ihn wartest?"

Khiray nickte. "Er wei�, wo wir uns treffen. Ich h�re mich schon einmal um."

Saswin schritt bed�chtig die lange Stra�e zum Hafen hinab. Khiray sah ihm nach. Sein Vater schien von den j�ngsten Neuigkeiten gebeugt, als sei das Gesch�ft inzwischen mehr eine Last als ein Vergn�gen geworden.

Khiray hatte das Gef�hl, als w�re es an der Zeit, seine Tr�ume von Drun'kaal endg�ltig zu vergessen und einen gr��eren Teil des Gesch�fts zu �bernehmen. Zeit, erwachsen zu werden.

Die aufgeregten Stimmen rissen ihn aus seinen Gedanken.

"Fremde! Fremde!"

Khiray sah auf. B�rger der Stadt, besonders Kinder, liefen in Richtung des westlichen Zentrums, wo die gro�e Mauer, das unvollendete St�ck der Stadtwehr, lag. Fremde? Dann sollten sie eigentlich zum Hafen hinab laufen...

Weiter im S�den gab es Stra�en, Wege oder zumindest Pfade zwischen St�dten des Armygan. Hier im �u�ersten Norden des vom Fellvolk besiedelten Gebiets reichten die Verbindungen �ber Land nur bis zu den umliegenden D�rfern, niemals bis zu einer anderen Stadt. Man benutzte Schiffe oder Boote, um in den S�den zu gelangen.

Gab es tats�chlich Fremde, die auf dem Landweg hier ankamen? Der Fuchs runzelte die Stirn. Wer? Von wo? Warum? Er sch�ttelte den Kopf und schritt entschlossen gen Westen aus.


Ende von Kapitel Zwei